Die Therapien mussten umgestellt werden – gruppentherapeutische Arbeit war nicht mehr möglich, die Klienten wurden voneinander getrennt. Dass sich gerade für psychisch erkrankte Menschen die Situation verschärft hat, bestätigt Engler. „Vor allem Jüngere haben sich damit schwergetan, die Einrichtung nicht verlassen zu dürfen, das hat teilweise massive psychische Krisen ausgelöst.“ Hinzu komme, dass manche von ihnen große Angst hätten, sich mit dem Virus anzustecken, und sich auch jetzt nur zögernd trauten, die eigenen vier Wände zu verlassen.
Nadin Himmelsbach ist Abteilungsleiterin der Eingliederungshilfe vom Haus an der Rems. Dort wohnen chronisch mehrfach beeinträchtigte, abhängigkeitskranke Menschen. Himmelsbach hat als besonders gravierend in der Corona-Krise empfunden, „dass den Bewohnern die Tagesstruktur weggebrochen ist“. Diese durften ihre Einrichtung nur noch für Spaziergänge oder dringende Arztbesuche verlassen. „Es ist schwierig, dann trotzdem dafür zu sorgen, dass die Stimmung gut bleibt.“ Durch das Maskentragen in den Gemeinschaftsräumen entstehe eine zusätzliche Distanz untereinander. Mit Beratungsgesprächen per Telefon, via Internet oder bei Spaziergängen im Freien versuchten die Verantwortlichen, in der bestehenden Situation Nähe zu erhalten.
Corona-Krise - Beratung per Telefon und Internet
Karl-Michael Mayer, Abteilungsleiter der Sozialen Heimstätte Erlach, hat bei einigen Bewohnern in den vergangenen Monaten „eine große Angst“ registriert. „Viele haben sich gefragt: Was wird aus mir?“ Die Hygiene-Maßnahmen, wie sie etwa bei der Essenausgabe gelten, seien auf „erstaunlich hohe Akzeptanz“ gestoßen. Schwierig sei jedoch gewesen, dass kein Besuch mehr bei den von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen möglich gewesen sei. Und „es gab so gut wie keine Kontakte mehr innerhalb der Gruppe“.
Für Suchtkranke hat sich die Situation unter Corona verschärft. Foto: jeremy-bishop/ unsplash
Unter dem erzwungenen Rückzug hätten einige sehr gelitten. „Viele unserer Klienten leben ohnehin in starker Isolation und sehr auf sich bezogen. Sie haben keine Familienangehörigen und sind daher auf die sozialen Kontakte in unserer Einrichtung angewiesen.“ Durch die fehlenden Freizeit- und Gruppenangebote „wurden die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen“.
Was also muss bei einem möglichen zweiten Lockdown anders werden? Kurt Sartorius fordert von der Politik eine verbesserte Wohnungsbaupolitik mit adäquaten Standards, auch, um die Hygienevorschriften auf sozialverträgliche Weise einhalten zu können. Zudem müssten auch in Pandemie-Zeiten Ämter und Behörden persönlich verfügbar sein; Hilfsangebote dürften nicht von digitalen Ressourcen abhängen.
Auch sollte es möglich sein, bei allem Bedürfnis nach Schutz, persönliche Kontakte zu psychisch eingeschränkten Menschen weiterhin aufrechtzuerhalten. Für Sartorius steht fest: „Corona hat uns die ganzen Mängel vor Augen geführt. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Weichen auch dauerhaft neu gestellt werden.“ □