Um zum Konvent und zur Kirche zu gelangen, passiert der Besucher eine weitere Mauer durch ein blaues Tor zu einem Innenhof. Dort plätschert eine der sieben Quellen auf dem Gelände, das nicht umsonst Triefenstein – triefender Stein – heißt. Viel lieber als in der barocken Kirche hält sich Zehendner in der Klosterkapelle auf. Steile Treppen führen zu ihr nach unten, es ist ein ehemaliger Weinkeller. Dort findet auch das Mittagesgebet statt. Still sitzen Brüder und Gäste an den Gewölberändern. Vorne ein kleiner Altar mit der Johannes-Minne. Es wird ein Gebet gesprochen, ein Lied gesungen, Stille gehalten. Das Innehalten im Tage ist wichtig.
Christoph Zehendner geht voraus, durch die hellen lichtdurchfluteten Gänge, durch immer neue Türen, vorbei an Fenstern mit Ausblick zum Main, öffnet die Tür zu seinem Büro, wo auch seine Frau schon wartet. „Mein Leben hat sich reduziert“, sagt Ingrid Zehendner, „aber gleichzeitig auch erweitert.“ Und wer durch die barocken Gänge schreitet, kann nicht anders als diesem Gefühl zuzustimmen. Barock, fürstlich und doch bescheiden. Aber wie leben sie denn nun genau, die Zehendners?
Armut, Gehorsam und Keuschheit, die drei evangelischen Räte, sind jedenfalls nicht ihr Thema. Dazu haben sich nur die Brüder und auch die Schwestern verpflichtet. Als sie von Stuttgart weggingen, haben sie ihre Pläne auch mit den erwachsenen Kindern besprochen. Zwei Söhne und drei Enkelkinder haben der 57-jährige Christoph und die 60-jährige Ingrid Zehendner. Die Wege zu ihnen sind weiter geworden, das ist eine Beschwerlichkeit, vor allem für Ingrid Zehendner.
Ihren Beruf als Kunsttherapeutin bringt sie inzwischen ins Kloster ein, wo sie auch einen eigenen Kreativ-Raum hat. Ihr Mann gibt weiter Konzerte, schließlich ist es eine Möglichkeit, Konzertbesucher ins Kloster einzuladen. „Das ergänzt sich alles wunderbar“, sagt Ingrid Zehendner. Im Übrigen ein Rückgriff auf frühe Christusträger-Zeiten, als diese Gemeindemission machten und mit modernen Liedern auftraten.
Den Schritt zu den Christusträgern zu gehen, empfinden beide nicht als harte Zäsur. „Das hat sich durch die guten Erfahrungen zuvor vorbereitet“, ist Ingrid Zehendner sicher, die schon seit dem Jahr 2000 immer wieder Seminare im Kloster gegeben hat. Und ihr Mann ergänzt: „Dann haben wir uns aber auch ganz darauf eingelassen.“ Für Christoph Zehendner war es ein Einstieg in ein neues Leben, mit weniger Tempo und weniger Druck. Er ist jetzt für den Gästebetrieb zuständig und für die Öffentlichkeitsarbeit. Mit dem Prior arbeitet er dafür eng zusammen.
Aber natürlich war der Schritt für ihn auch ein Verzicht: Weg vom SWR, weg vom Haus, weg von den Kindern. „Ich bin aber kein Häuslebauer“, schiebt Christoph Zehendner gleich nach. „Ein Haus ist ein Haus, ein Auto ein Auto.“ Also Gebrauchsgegenstände. Für ihn sind Beziehungen wichtig, und die waren auch vorher schon weit gestreut und nicht so an einen Ort gebunden.
Klar war für das Ehepaar Zehendner relativ schnell, dass sie nicht innerhalb, sondern außerhalb der Klostermauern wohnen wollen. Ein Dreivierteljahr haben beide bewusst in der Klausur mitgelebt, um zu erkennen, dass Ehe und Bruderschaft nicht zusammen passen. Seither kommen sie um 7.30 Uhr zum Gebet, sind an mindestens einer Mahlzeit am Tag da, können sich aber auch zurückziehen. „Ich will auch mal ganz privat sein“, sagt Ingrid Zehendner. „Das macht das Leben reich.“
Das Leben der Zehendners bei den Christusträgern lässt sich auf die Formel bringen: Sie sind ganz bei den Brüdern dabei, aber sie leben anders. Das bringt auch Freiheit und Spielraum mit sich. Einen Ausdruck findet diese Situation darin, dass die Christusträger bisher im Christusträger-Verein organisiert waren. Nun kommt ein zweiter Verein hinzu: Der der Christusträger Arbeitsgemeinschaft. Das Modell Zehendner könnte hier mit einer neuen Rolle für die Zukunft ausgebaut werden. „Wir müssen herausfinden, ob man das so leben kann“, meint Ingrid Zehendner. Natürlich ist das etwas, das die Zehendners auch als Paar fordert. „Es ist schon anstrengend, neue Schritte zu gehen“, gibt Christoph Zehendner zu. Die Fähigkeit zur Geduld werde schon auch strapaziert. „Aber ein grundsätzliches Ja hilft über vieles hinweg“, sagt er.
Das alte Leben zurückgelassen, das neue begonnen: Fühlen sich die beiden jetzt freier? Was die Arbeit betrifft, die Tagesaktualität, sicherlich, sagt der ehemalige Radioreporter und fügt hinzu: „Ruhig ist das Leben aber trotzdem nicht geworden.“ Er ist viel unterwegs. Öffentlichkeitsarbeit fordert ihn auch heraus, zumal wenn es um die Brüder in Afghanistan oder im Kongo geht. Seine Frau findet, wenn man eine Entscheidung treffe, dann binde das auch. Aber es sei eine Bindung, die sie frei gewählt habe.
Materiell haben sie Abstriche gemacht, was aber nicht heißt, dass sie sich für Armut entschieden hätten, zumal es sich in der fränkischen Gegend billiger leben lässt als im Großraum Stuttgart. Christoph Zehendner jedenfalls findet: „Das ist der richtige Platz, das ist unser Leben. Und da kann ich als Christ sagen: Guter Gott, du hast mich gut geführt.“ Und allein dieses Gefühl mache ihn glücklich.
„Sie treffen uns jetzt ja auch im siebten Jahr“, bemerkt Ingrid Zehendner, „eine besondere Zahl.“ Und wenn sie auf die vergangenen Jahre zurückblicke, gab es auch Unruhe, Grenzerfahrungen und Herausforderungen, wie die Pflege der eigenen Eltern.
„Neues Land betreten, ich will Risiken neu eingehen. Wagen, hoffen, beten, und dann mutig nach vorne sehen“, hat Christoph Zehendner bereits vor zehn Jahren in einem Lied geschrieben. Für ihn sind diese Zeilen in Erfüllung gegangen. Christsein ist für ihn Unterwegssein, Sesshaftigkeit kein Grundprinzip des Christentums. „Auch bürgerliche Wohlanständigkeit kann ich in der Bibel nicht entdecken“, sagt er. Und in all dem habe die Gemeinschaft der Christusträger einfach auch etwas Tragendes, ergänzt Ingrid Zehendner. Sie sei von Natur aus eigentlich eher ein ängstlicher Mensch. Das Wagnis, in ein neues Leben zu springen, hat für sie etwas mit dem Christsein zu tun.
Angesichts der Ostertage kommt dem Theologen und Prediger Christoph Zehendner die Emmaus-Szene in den Sinn: Die geschwächten Jünger erleben darin plötzlich in der Begegnung mit Jesus die Kraft der Auferstehung. Und obwohl sie schon so weit gegangen sind, wachsen sie über die eigenen Kräfte hinaus und rennen am Abend noch zurück nach Jerusalem, wo sie hergekommen sind. Wenn Zehendner auf das Werk der Christusträger blickt und mit wie wenigen Kräften diese Arbeit geleistet wird, ist auch das für ihn eine Ostererfahrung, vergleichbar mit der der Emmaus-Jünger.
Draußen im Klosterhof duftet es nach Frühling. Christoph Zehendner lässt den Blick über die Klosteranlage schweifen. Seinen Besucher bringt er bis zum schützenden Tor. Das ist vielleicht seine Freiheit: Er ist täglich auf dem Weg. Zwischen Emmaus und Jerusalem. Drinnen und draußen.
Die Christusträger
Seit 1986 wohnen Brüder der 1961 gegründeten evangelischen Bruderschaft im Kloster Triefenstein. Kirchengemeinden und andere Gruppen kommen zu Freizeiten oder Seminaren. Einzelgäste ziehen sich zu stillen Tagen zurück oder melden sich zu Seminaren an, die Brüder und Freunde der Bruderschaft im Jahresprogramm anbieten. Auch Familien kommen ins Kloster.
Die Brüder laden nahezu jeden Mittwoch um 18 Uhr zum öffentlichen Abendgebet ein. Das Gebet dauert etwa eine halbe Stunde und besteht aus liturgischem Singen, einem Bibeltext und einer kurzen Betrachtung. Das Abendgebet findet in der Sommerzeit in der Kirche und in der Winterzeit in der Kellerkapelle statt. Dreimal im Jahr können Interessierte einen ökumenischen Gottesdienst in der Klosterkirche mitfeiern. Diese Gottesdienste werden von Kirchengemeinden und Pfarrern der Umgebung gemeinsam mit den Christusträgern vorbereitet.
Konzerte mit Bands und Liedermachern sind ebenfalls öffentlich. Viele Gäste suchen im Kloster einen geschützten Rückzugsort, in dem sie Ruhe und Besinnung erleben können. Das Klostertor ist deshalb nur zu bestimmten Zeiten offen.
Weitere Informationen zu den Christusbrüdern
Telefon 09395-7770
Internet: www.christustraeger-bruderschaft.org