Diese Worte Jesu sind in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zunächst, weil Jesus seine Jüngerinnen und Jünger nicht von der Welt abtrennt. Das Reich Gottes dient nicht als Versteck vor der Welt. Im Gegenteil! Die Welt ist der Ort der Gemeinde, weil die Welt durch die Gemeinde transformiert wird. Sich ihr zu entziehen, bedeutet, sich dieser Veränderung zu versagen.
Zum zweiten handelt es sich bei diesen Worten um ein Gebet. Jesus appelliert nicht an die Gemeinde, sondern er wendet sich an Gott. Für die Gemeinde ist das eine enorme Befreiung. Würde Jesus das Böse und die Angst vor dem Bösen zu unserer Sache machen, hätte er dies als Erwartung und Appell formuliert: Nehmt euch zusammen! Ihr müsst durchhalten! Wir wären auf uns geworfen. Das vergrößert die Angst nur und führt zu Überforderung. Die Adresse Jesu ist jedoch Gott. Unsere Aufgabe ist es, uns in dieses Gebet hineinzugeben und uns so der Angst zu stellen.
Bedeutet dies, dass wir die Hände in den Schoß legen und alles über uns ergehen lassen müssen? Nein! Das Gegenwort zur Angst ist nicht Teilnahmslosigkeit, sondern Vertrauen. Den stärksten sprachlichen Ausdruck findet dieses Gott-Vertrauen in Psalm 23,4: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir.“
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Nun hat das Vertrauen, von dem der Psalm spricht, einen besonderen Charakter, der sich nicht einfach mit Mut oder Zuversicht wiedergeben lässt. Vertrauen ist ein Perspektivwort. Man muss etwas haben, auf das man vertrauen kann. Deshalb hat der Psalmdichter den Satz „Denn du bist bei mir“ nachgesetzt. Ohne diese Begründung würde der Vers wie ein frommer Wunsch wirken.
Durch die Begründung bekommt er eine Richtung. Die Richtung weist auf Gott. Gott ist mein Ort, selbst wenn finstere Täler jeglicher Heimat und Heimkehr widersprechen. Und so schließt auch der Psalm. Statt Angst setzt er ein Ziel: Und ich werde bleiben im Hause des Herrn für immer. Der dritte Aspekt ist womöglich der brisanteste: Der Evangelist Markus erzählt von einem Streit zwischen den Schülern Jesu. Jakobus und Johannes baten Jesus, dass sie neben ihm den Vorsitz im Reich Gottes einnehmen wollen (Markus 10,35). Reich Gottes verstanden sie durchaus konkret, also als eine Herrschaft mit Hierarchie, Machtvollkommenheit und Befehlsgewalt. Jesus war der König Israels, sie aber wollten im Machtgefüge gleich nach ihm kommen. Natürlich ärgerten sich die anderen Jünger über diese Anmaßung.
Jesus antwortete darauf folgendermaßen: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein“ (Markus 10,42).
Angst - Grundthema für die Menschen
Die zweite Hälfte dieser Antwort ist die bekanntere und hat den ersten Teil etwas in den Hintergrund gedrängt. Dabei ist Jesu nüchterne Feststellung, wie Herrschaft funktioniert, ziemlich explosiv. Herrschaft zwischen Menschen funktioniert durch Androhung von Gewalt. Furcht ist ein legitimes Mittel, andere niederzuhalten. Es ist praktisch unmöglich, sich umzusehen und Jesu Analyse nicht bestätigt zu finden.
Angst ist ein wirksames Machtmittel. So soll es aber nicht bei seinen Nachfolgern sein, stellt Jesus schlicht fest. Die Herausforderung, die sich hinter dieser Anweisung verbirgt, ist nicht, grundsätzlich Macht abzulehnen, sondern sich der Versuchung zu versagen, Angst und Gewalt als geistliches, gesellschaftliches und politisches Mittel gutzuheißen.
Die Bibel beschäftigt sich so intensiv mit Angst, weil Angst ein menschliches Grundthema ist. Jesus entlarvt Angst als Mittel zum Zweck, das aber in der Gemeinde keine Rolle spielen darf. Er weist auf Gott als die richtige Adresse, wenn Angst droht und befreit uns von der Not, uns selbst aus der Angst zu befreien. Unsere Antwort lautet vielmehr, zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, dass trotz dunkler Täler, die nun einmal zum Leben gehören, dennoch am Ende Gott steht.