Im Netz tobt der virtuelle Krieg zwischen den „Weltverschwörungstheoretikern“ und „Covidioten“ auf der einen und „regierungstreuen Idioten“ oder „Gesundheitsaposteln“ auf der anderen Seite. Beide bombardieren sich gegenseitig mit Vorurteilen und Unterstellungen, der Grundton ist oft fanatisch. Besonnene Zwischentöne findet man hier ebenso wenig wie eine offene und sachliche Diskussion über Folgen und Umgang mit der Krise.
Auch viele Journalisten nutzen solche Begriffe inzwischen sorglos und ungeprüft. Die Vereinfachung konzentriert sich dabei nicht mehr nur auf den Begriff der „Verschwörungstheoretiker“ – inzwischen gibt es auch die „Maskenverweigerer“, „Impfskeptiker“ oder „Corona-Leugner“. Die politischen Schmähbegriffe umfassen alle, die Kritik an vorherrschenden Institutionen oder Regierungen üben oder sich skeptisch gegenüber Vorgaben rund um die bestehenden Vorschriften äußern.
Doch kann ein offener Diskurs über den angemessenen Umgang mit einem Virus gelingen, wenn jegliche öffentlich geäußerte Meinung dazu reflexartig einem Lager zugeteilt wird? Wenn Betrachtungen dazu auf populistische Schlagwörter reduziert werden? Und das in einer Situation, in der sich Wissenschaftler, Ärzte und Politiker uneins sind und wo sich aktuelle Wissensstände und Betrachtungsweisen ständig ändern?
Fest steht: Es gibt keine absoluten Wahrheiten. Und doch scheint es, als ob die Welt zunehmend in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß eingeteilt wird. Nach bestem Vorbild des derzeitigen amerikanischen Präsidenten, der seine Ansichten im 280-Zeichen-Format auf Twitter herunterbricht. Da bleibt kein Platz für tiefsinnige Auseinandersetzungen oder eine differenzierte Betrachtungsweise. Die Folge ist eine zunehmend gespaltene Gesellschaft, deren zwei Lager sich immer mehr bekriegen und gegenseitig diffamieren. Und das, obwohl sich viele weder der einen noch der anderen Seite zugehörig fühlen.
So gibt es Menschen, die Covid-19 durchaus für gefährlich halten, den Umgang damit aber für unverhältnismäßig, und die nicht bereit sind, ihre Daten einer Corona-Warn-App anzuvertrauen. Die verunsichert sind aufgrund einer Informationspolitik, im Zuge derer Virologen den Mund-Nasen-Schutz in der Virenbekämpfung zunächst als wirkungslos und später als zwingend erforderlich erklären. Die sich gerne mit einer Impfung gegen das Virus schützen möchten, aber Respekt vor Nebenwirkungen eines solchen Stoffes haben, der möglichst schnell auf den Markt gebracht werden soll, ohne dass dessen Langzeitfolgen untersucht werden können.
Es gibt Menschen, die Angst haben vor sozialen oder wirtschaftlichen Folgen der Krise und besorgt sind über das zunehmende Aggressionspotenzial einer Gesellschaft, für die auf unbestimmte Zeit Massenveranstaltungen als Ventilfunktion ausfallen. Die sich fragen, welche psychologischen Folgen es hat, wenn man sich im öffentlichen Raum nur noch mit vermummtem Gesicht begegnet. Und die sich ungern als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnen lassen.
Verschwörungstheorie - Politisches Schmähwort
Der Autor und Kulturphilosoph Charles Eisenstein sieht den einseitigen „Verschwörungs-Mythos“ rund um Covid-19 als Zeichen für „ein erschreckendes Ausmaß der Entfremdung zwischen der Öffentlichkeit und ihren Führungsinstitutionen“, wie er in einem Essay schreibt. Ursachen sind für ihn fehlendes Vertrauen in Unternehmen und Institutionen, von denen viele eine lange Geschichte von Korruption und Verstrickung in Konzerninteressen aufweisen. Als Beispiel nennt er Bayers wissentlichen Verkauf von HIV-kontaminiertem Blut oder die Schmiergeldaffäre des US-Rüstungskonzerns Lockheed-Martin. „Jetzt glauben ihnen viele Leute nicht mehr, und wenn sie auch die Wahrheit sprechen.“
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Inzwischen sei der Begriff „Verschwörungstheorie“ ein politisches Schmähwort geworden, „um jegliche vom Mainstream abweichende Sichtweise in Verruf zu bringen“: „Im Grunde kann jede Kritik an den vorherrschenden Institutionen als Verschwörungstheorie diffamiert werden.“ Als Folge davon beobachtet er eine polarisierte Gesellschaft, die „völlig durchdrungen“ sei von „Kriegsmentalität“, bei der es immer nur um das Besiegen eines Feindes, in diesem Fall des Virus, gehe.
Doch wo immer nur ein „Dagegen“ vorherrscht, ist die Zweiteilung der Gesellschaft nicht weit. Denn da gibt es immer nur richtig oder falsch, Feind oder Freund, gut oder schlecht. Um diese Spaltung zu überwinden, kann es nur einen Weg geben: scheinbare Selbstverständlichkeiten auf beiden Seiten zu hinterfragen, sich auch unpopuläre Meinungen anzuhören. Begriffe wie „Verschwörungstheorien“ zu beleuchten und sich inhaltlich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen, anstatt sie inflationär und oberflächlich als verbale Waffe oder Schimpfwort zu benutzen. Nur so gelingt es, Lösungen für eine Krise zu finden, die alle betrifft – und die möglichst viele unterschiedliche Perspektiven benötigt.
Zum Thema, die Meinungen anderer stehen zu lassen, gibt es eine neue Ausgabe der Serie #brenzWG im Internet: www.kirchenfernsehen.de