Singen im Gefängnis - Manchmal kommen ihr die Tränen
Egal, wo auf der Welt sie war, Glaube und Gemeinschaft waren der jungen Frau wichtig. Immer suchte sie sich schnell eine Gemeinde. Für ihre Gefängniskonzerte hat sie jetzt den Jugenddiakoniepreis „MachMit!“ erhalten. Die Begründung der Jury: „Durch ihre Musik erfahren Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben, Ermutigung und Trost.“
© Foto: Isabella Hafner
Hemmungen gegenüber Gefangenen hat Diana Ezerex jedenfalls nicht. Von dem gesellschaftlichen Tabu-Bereich „Gefängnis“ fühlt sie sich eher angezogen. „Ich hatte eine Freundin, die hat ein Praktikum im Gefängnis gemacht, da dachte ich: Cool, das will ich auch mal machen. Es ist so ein Parallel-universum.“ Während ihres Freiwilligen Sozialen Jahrs (FSJ) kam sie immer wieder in Kontakt mit Jugendlichen, die bereits im Knast gesessen hatten. Ihr FSJ machte sie in der Offenen Jugendarbeit. „Das war schon heftig“, erzählt sie.
Schließlich begleitete sie ein Musicalcamp für Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommern. „Bei einem Konzert war auch der Gefängnisdirektor eines Jugendgefängnisses da. In Kutte. Er war Mönch. Ich fand das Outfit interessant, deshalb habe ich ihn angesprochen“, erzählt Diana. Kurz darauf sang sie zum ersten Mal in einem Jugendgefängnis. Danach saß sie mit den Insassen noch zusammen und trank mit ihnen Kaffee. „Meine Erfahrungen in der Offenen Jugendarbeit – das hat schon etwas ausgemacht, dass ich so gut mit ihnen konnte.“ Doch auch heute denkt sie sich immer wieder: „Das sind auch nur Menschen. Menschen, die teilweise übelsten Dreck am Stecken haben – übelsten! Es sind auch Mörder darunter.“
Ihren ersten Auftritt in einem Männergefängnis hatte sie in Bayreuth. Da war sie nervös. „Erwachsene Männer, von denen manche auch lebenslänglich sitzen. Geschockt hat mich, wie normal diese Männer aussehen können. Einige könnten die sein, die mit dem VW Kombi ihre Kinder in die Schule fahren.“ Solche Begegnungen bergen für sie einerseits die Gefahr, dass sie hinter jedem Menschen einen Straftäter vermuten könnte – oder andererseits naiv reagieren und alles Mögliche glauben könnte, was „einem da jemand an die Backe labert“. „Da musste ich ein gesundes Mittelmaß finden, das war eine Herausforderung.“
© Foto: Isabella Hafner
Viele, mit denen sie sich über deren Straftaten unterhalten hatte, behaupten, sie säßen wegen eines Missverständnisses oder die Polizei wäre geschmiert gewesen. „Ich höre mir das an, wir können schon reden, aber das beeindruckt mich nicht.“
Jedes Gefängniskonzert hinterlässt bei Diana Spuren. „Ich denke mir immer, wenn ich raus gehe: Krass, ich bin jetzt einfach draußen – und die halt nicht.“ Besonders eindrücklich war ein Konzert in einer Jugend-JVA. „Dort kam ein Insasse nach dem Konzert zu mir und meinte: „Ich habe das erste Mal seit langem wieder Freude gespürt.“ Und kürzlich in Schwäbisch Gmünd sang sie in zwei Gottesdiensten. Der erste war für die Frauen im Strafvollzug. Der zweite für Frauen, die noch in Untersuchungshaft waren. „Zwei ganz unterschiedliche Stimmungen“, sagt Diana. „Man hat ganz deutlich gespürt, wie die Frauen im Strafvollzug ihre Situation akzeptiert haben. Vielleicht haben manche einen Antrag gestellt, um früher raus zu dürfen. Aber es ist so, dass sie ihren Alltag da drin haben, auch Freundinnen …“
Nach dem Auftritt im Gefängnis - Zuhörer wollen mit ihr reden
Dann kam der Gottesdienst für die Frauen in Untersuchungshaft. „Ich habe noch nie mit so einem Kloß im Hals singen müssen. Das war heftig. Das ist für mich jetzt immer noch emotional.“ Wenn sie daran denkt, dass die Frauen noch nicht wissen, wie es für sie ausgeht: Manche sind schuldig, manche unschuldig. Sie haben keine Ahnung, ob sie dort mehrere Jahre oder lebenslänglich sind. Manche hatten während des Konzerts ihre Kinder von draußen mit dabei. Und wussten: Ist das Konzert vorbei, werden sie von ihren Kindern getrennt und müssen zurück in ihre Zelle.
Was Diana Ezerex selbst aufgewühlt hat, als sie es von einer Gefängnisdirektorin gehört hat: 70 Prozent der Frauen, die im Gefängnis sitzen, seien selbst Opfer. Sie sind auch deswegen Täterinnen geworden, weil sie sich zur Wehr gesetzt haben. Weil sie nicht mehr schlucken konnten, was ihnen angetan wurde – und kein soziales System oder Handlungsinstrumente hatten, um auf „normalem Wege“ aus ihrer schlimmen Situation herauszukommen.
Wühlen Diana Ezerex’ Texte die Insassen auf? Sie weiß es nicht, sagt sie. „Gedanken verloren, die Angst gewonnen, der Preis ist zu hoch für dieses Risiko“, lautet eine Passage in einem ihrer wenigen deutschen Lieder. Es heißt „Neu und gut“ – ein Lobpreis-Song. „Ich glaube, so ein Text, in dem es ums Risiko geht, darum, dass man etwas Undurchdachtes gemacht hat, das beschäftigt die schon. Texte haben eine starke Macht. Und wenn dann noch die Stimme dazu kommt, der Gesang … da werden einfach Emotionen übertragen.“
Manchmal wollen ihre Zuhörer mit ihr reden. „Einige kommen dann her und sagen, wie es sie berührt hat, sagen ganz liebe Sachen. Es sind einfach Menschen, die Ermutigung brauchen. Und wenn es nur kurz ist. Das kann sie tragen durch die nächste Zeit, auch wenn sie davon nicht abhängig werden dürfen.“
Schade nur, dass es für Diana Ezerex immer kompliziert ist, in Gefängnissen singen zu dürfen. Sie muss sich mindestens ein Jahr im Voraus anmelden. Und viele Gefängnisse sind gar nicht so offen für ihr Angebot, denn dort müssen für jeden Auftrittt Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Außerdem gibt es oft schon ein umfassendes kulturelles Programm.
Doch Diana Ezerex bleibt hartnäckig. Weil sie merkt, welche Wirkung sie mit ihren Auftritten erzielt.
◼Weitere Informationen im Internet unter www.dianaezerex.com