Die einzelnen Momentaufnahmen und Szenen hallen lange nach – ohne dass jedes Detail auserzählt wird.
Iris Wolff: Es ist mir wichtig, nicht alles auszuformulieren und zu deuten. Das ist doch im echten Leben genauso. Wir wissen wenig von den anderen Menschen und warum Dinge passieren oder auch nicht.
Landschaft in Siebenbürgen. Foto: Lucian Pavel, pixabay
Florentine ist eine Außenseiterin und will das auch sein. Allerdings: Die soziale Kontrolle, die ihr als Frau des Pfarrers und als ziemlich unkonventionelle Mutter durch das Dorf begegnet, geht ihr ziemlich auf die Nerven.
Iris Wolff: Diese Tradition, als Pfarrfrau über den Beruf des Mannes definiert zu werden, war in Siebenbürgen sehr ausgeprägt. Meine Mutter wurde als Pfarrfrau von den Älteren im Dorf als „Frau Mutter“ angesprochen. Sie war eine Respektsperson in dieser dörflichen Gemeinschaft. Die Florentine im Buch ist eine junge Städterin, die diese Erwartungen erst nicht erfüllt, dann aber in ihre Rolle hineinwächst. Auch Hannes, der Pfarrer, untergräbt die Erwartungen der Gemeinschaft an Frömmigkeit. Er ist ein Suchender, der im Glauben Zweifel hat.
Der zweifelnde Pfarrer, der für die Beerdigung eines Jugendlichen schier keine Worte, dafür aber den Vater findet, der von der Trauerfeier für seinen Sohn verschwunden ist. Er trauert auf seine Weise und umarmt im Stall eine Kuh. Ein Bild wie aus einem Film.
Iris Wolff: Es war für mich beim Schreiben ein beglückender Moment, als dieses Bild entstanden ist. Das war nicht geplant. Ich stecke beim Schreiben oft selbst wie in einem Film und sehe die Szenen bildlich vor mir.
Florentine und Hannes haben beide eine Skepsis gegenüber Worten. Sie sind eine Sprachkünstlerin, können mit Worten berühren, ihr poetischer Ton ist hochgelobt. Teilen Sie als Autorin die Skepsis Ihrer Figuren?
Literatur berührt nicht nur den Verstand
Iris Wolff: Wir reduzieren unsere Gedankenwelt durch täglichen Äußerungen und verfehlen dabei oft haarscharf das Eigentliche. Florentine hat dafür ein Bewusstsein. In dem Verweigern der Worte steckt eine Suche nach Wahrhaftigkeit.
Sie setzen einen wissenden Leser voraus, der die Geschichte Rumäniens und der deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen kennt. Erklärpassagen gibt es in der „Unschärfe der Welt“ keine, dafür aber rumänische Wörter, die nicht übersetzt sind.
Iris Wolff: In meinem ersten Roman „Halber Stein“ habe ich die Leserinnen und Leser ausgiebig über die 800-jährige Geschichte und Kultur der deutschen Minderheit in Siebenbürgen in Kenntnis gesetzt. Davon habe ich mich nach und nach befreit, ich will Romane und keine Geschichtsbücher schreiben. Ich muss den Leserinnen und Lesern eine gewissse Fremdheit zumuten, die dieser Landstrich notgedrungen hat – aber Literatur berührt ja nicht nur den Verstand.