Die Mehrheit jedoch des neuen Badens, sie war katholisch. Fast zwei Drittel der Menschen orientierten sich an Rom und dem Papst und da wurde es Zeit, dass auch die Protestanten eine einheitliche Ausrichtung bekamen. Das Königliche Preußen und die bayerische Rheinpfalz hatten es vorgemacht, dort war es 1818, kurz nach der 300-Jahr-Feier zum Thesenanschlag in Wittenberg, zu einer Vereinigung der Reformierten und Lutheraner gekommen.
Großherzog Ludwig I. Foto: Pressebild pd
Nun war Baden an der Reihe: Das aufgeklärte Bürgertum in der Kurpfalz ging voran und initiierte eine Unterschriftenaktion, die dem evangelischen Großherzog Ludwig I. vorgelegt wurde. Der war mehr als aufgeschlossen und ließ einen kleinen Kreis von Theologen beider Konfessionen einsetzen, die die Union vorantreiben sollten.
Der Knackpunkt war das Abendmahl. Das unterschiedliche Verständnis, wie man das Austeilen von Brot und Wein zu begreifen hatte. Eher symbolisch wie die Reformierten oder mehr im Sinne der Realpräsenz wie bei den Lutheranern – darüber hatten sich schon Luther und Zwingli heillos zerstritten. In Karlsruhe hingegen blieb man ruhig und gelassen. Ging es nicht in jedem Fall um die Gegenwart Gottes, um die Teilhabe am Heil, während der Rest Auslegungssache war?
Ein genialer Schachzug, findet auch Pfarrer Hans-Georg Ulrichs, der Beauftragte der Evangelischen Landeskirche in Baden für das Jubiläum. „Der Badener neigt nicht zum Fundamentalismus“, sagt der Theologe, der 2006 schon als EKD-Pfarrer die Fußballweltmeisterschaft betreut hatte. Auch die badische Union wurde zum Sommermärchen: Am 26. Juli 1821 setzten die Verantwortlichen ihre Unterschrift unter die Unionsurkunde, danach gab es nur noch eine „Vereinigte Evangelisch-Protestantische Kirche im Großherzogtum Baden“.
Die feierte am 28. Oktober desselben Jahres zum ersten Mal Abendmahl nach dem neuen Ritus. Statt der Oblaten gab es nun auch für die Lutheraner Weißbrot, derweil die Reformierten theologisch ein wenig mehr Luther-Kost zu verdauen hatten. Ein Geben und ein Nehmen mit einem „Geist der freien Forschung“, der so ausdrücklich in der Unionsurkunde festgeschrieben war.
Erster Prälat der neuen Landeskirche: Literat und Theologe Johann Peter Hebel. Das Gemälde von Karl Agricola zeigt ihn mit einer Frau aus dem lutherischen Markgräflerland. Foto: Pressebild
An der Spitze der liberalen Landeskirche stand ein Literat. Der alemannische Dichter Johann Peter Hebel, von dem Goethe in den allerhöchsten Tönen schwärmte, wurde erster „Prälat“ der neuen Landeskirche. Den Titel trug der geistliche Vorsteher der neuen Kirche, derweil das eigentliche Oberhaupt, wie in allen evangelischen Territorien, der Landesfürst blieb: So sehr die badische Union den Geist der Freiheit atmete, so wenig war die Ablösung von der Staatsmacht gelungen. Die Kirchenverwaltung war Teil des Innenministeriums, die Einberufung der Synode oblag dem Gutdünken des Landesfürsten.
Von den einstigen Gräben, die durch die evangelische Landschaft gingen, ist heute in Baden kaum noch etwas zu spüren. Das anfängliche Grummeln, das es in Teilen der Pfarrerschaft gab, begann bald zu verstummen. Gegner wie der Heidelberger Dekan Johannes Bähr wurden in den Oberkirchenrat nach Karlsruhe berufen und nach dem Tod Hebels 1826 zum Prälaten ernannt. Nur wenige beachten heute noch den Symbolgehalt des Kirchenfensters in der Stadtkirche des kurpfälzischen Wiesloch, wo Martin Luther und der reformierte Johannes Calvin einträchtig nebeneinander abgebildet sind.
„Der Gegensatz zwischen Lutheranern und Reformierten war erstaunlich schnell verschwunden“, sagt Hans-Georg Ulrichs. Es war eher der Streit von Konservativen und Liberalen, der die neue Kirche umtrieb. Im frühen 19. Jahrhundert spaltete sich eine Erweckungsbewegung ab, später kam es zu einer Separation dogmatischer Lutheraner. Zu einer Zerreißprobe wurden die Zeit des Nationalsozialismus und die Verstrickung der Kirche in damalige Machenschaften. Ein dunkles Kapitel, das beim Blick auf 200 Jahre badische Kirchengeschichte nicht ausgespart werden soll.
1952 wurden Baden und Württemberg politisch vereinigt. In der Kommunalreform der 70er-Jahre löste man bewusst auch alte Landkreise auf, sodass es heute in den Grenzregionen viele Kommunen gibt, die badische und württembergische Anteile haben.
Die alten Grenzverläufe von Baden und Württemberg hingegen bleiben im Zuschnitt der Landeskirchen erhalten. Wer immer genau wissen möchte, wo Baden und Württemberg politisch einst lagen, braucht nur auf deren Gebietskarten zu schauen. Ganz ähnlich ist es übrigens mit den katholischen Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart, die fast flächengleich mit den evangelischen Landeskirchen sind. Evangelisch und katholisch: In mancher Hinsicht sind sie halt doch gar nicht so verschieden.
Heiliggeistkirche Heidelberg. Foto: Pressebild epd-Bild/Norbert Neetz