Das ist im Grunde bei den Evangelischen nicht anders. Auch hier bewegt sich die Erntedank-Regelung im Bereich der Empfehlungen. 2006 wurde von der EKD ein Liturgisches Kalendarium beschlossen, das den Erntedank auf den ersten Sonntag nach Michaelis legt. Es sei denn, der am 29. September stattfindene Michaelstag fiele auf einen Samstag. Ergo: Auch bei den Protestanten in Deutschland wird in aller Regel am ersten Oktober-Sonntag gefeiert.
Weicht eine Gemeinde davon ab, kräht normalerweise aber auch kein Hahn danach: So lädt die Waiblinger Michaelskirche 2020 bereits am 27. September zum Erntedank-Gottesdienst ein, „aus rein praktischen Gründen, weil der Termin besser gepasst hat,“ wie Dekan Timo Hertneck versichert. An der Mosel wiederum feiern manche Gemeinden sogar erst Mitte November nach Abschluss der Weinlese.
Gleichwohl hat sich in evangelischen Gegenden der Sonntag nach Michaelis als Erntefesttag durchgesetzt. Der Michaelistag am 29. September war ein beliebter Pacht- und Zahltag, Knechte und Mägde aus weiter Umgebung kamen zusammen, bekamen ihren Lohn und feierten anschließend. Der Tag markierte den Abschluss der Aussaat im Herbst und den Beginn einer Jahreszeit, in der die Nächte wieder länger wurden als die Tage.
Preußenkönig Friedrich der Große legte den Sonntag nach Michaelis 1773 sogar gesetzlich als Erntefeiertag fest. Eine staatliche Regulierung, die in Deutschland allerdings eher die Ausnahme war: Erst die Nationalsozialisten vereinnahmten das Erntedankfest wieder für ihre Zwecke und machten daraus eine landesweite Blut-und-Boden-Zeremonie, 1934 wurde daraus sogar ein gesetzlicher Feiertag.
In den letzten Jahrzehnten hat das Erntedankfest immer mehr an Bedeutung verloren. Zwar gibt es lokal unterschiedliche Gepflogenheiten und vereinzelt auch Feste und Umzüge – in den allermeisten Fällen ist es jedoch kein Großereignis mehr, weder kirchlich noch weltlich.