Für das Kind Susann ist der Vater das natürliche Oberhaupt der Familie, wie sie sagt. Ein findiger Problemlöser, der gerne flirtet, der ihr beigebracht habe, „dass schöne Frauen anders behandelt werden als die, die klug sind.“ Dass es „in jedem Fall die Männer sind, die bestimmen, zu welcher Kategorie man als Frau, auch als Tochter, gehört“, schreibt die Tochter.
Sie versucht ihn mit Wissen und Können zu beeindrucken. Klappt aber nicht so richtig bei dem Mann, der selbst so hohe Ansprüche an sich und seine Mitmenschen stellt. Und an der Ehe scheitert, Susann ist da noch ein Kind. Immer wieder buhlt sie um Liebe und Anerkennung ihres Vaters. Als erwachsene Frau dann um die anderer Männer, etwa Kollegen.
Ihre Liebesbeziehungen scheitern immer wieder. Über einen Mann schreibt sie: „Mit größter Energie legte ich mich ins Zeug, G. immer wieder zu gemeinsamen Projekten zu verlocken, für die er seine Familie länger als abgesprochen alleine ließ. Die Raserei, mit der ich ihm zu beweisen versuchte, dass er an meiner Seite sein wahres Potential ausschöpfen könnte und meine Gesellschaft sowieso viel lohnender wäre als die seiner Frau und seiner Tochter, hatte wahnhafte Züge.“
Immer für einen Blödsinn mit der Erstgeborenen zu haben, aber auch als Beschützer die erste Wahl: Der Vater von Isabella Hafner. Fotos: Isabella Hafner
In ihrem Buch zitiert Susann Sitzler den Grazer Psychologen Werner Stangl: „Kinder, die den Stolz der Väter spüren, strahlen mehr Selbstsicherheit aus und ersparen sich deshalb manchen jugendlichen Leichtsinn. Vor allem gehen Mädchen, die eine gute Vaterbindung haben, als Jugendliche mit Beziehungen viel umsichtiger um und suchen auch nicht blind die Bestätigung von jungen Männern.“ Die biologischen Grundaufgaben des Vaterseins lägen im Schützen und Anerkennen der Kinder.
Die Autorin greift auch ein Interview mit dem Journalisten Tillmann Prüfer auf; bekannt für seine Kolumnen in der „Zeit“ übers Vater-sein – vier Töchter hat er. „Wer als Vater nett zu seinen Töchtern ist, erhöht die Chancen, einmal nicht ein A... neben seiner Tochter am eigenen Tisch sitzen zu haben.“ Weil die Tochter wisse, wie es sich anfühlt, wenn einen jemand wirklich liebt. Und sie sich keinen Vaterersatz suchen muss.
Gleichzeitig sei auch das Tochtervater-Sein eine besondere Aufgabe. Die Pubertät der Tochter, wie Susann Sitzler schreibt, sei „Schwerstarbeit“. Es gehe ums Losreißen, Zurücklassen. „Das Mädchen biegt in die Welt der erwachsenen Frau ab.“ Die plötzliche Unausstehlichkeit der Tochter treffe den Vater hart. Bis er sie dann vielleicht ganz aus der Hand gibt und – hypersymbolisch – ihrem künftigen Ehemann am Altar anvertraut, wie man es von US-amerikanischen Hochzeiten kennt. Mein Papa hatte immer ein offenes Ohr, nahm mich und meine Schwestern immer Ernst. Dass es anders sein könnte, darüber hatte ich bis jetzt nie nachgedacht. Noch heute diskutieren wir gerne über unsere Ansichten in Politik, Gesellschaft und Nachhaltigkeit.
Mein Papa hat ein ausgeglichenes Gemüt und ist für uns ein Fels in der Brandung. Für meine Geschwister und mich ist schwer zu akzeptieren, dass er bald 74 ist. Dass sein Körper anfälliger wird und unser Mann für alle Fragen alt. Kürzlich musste er wegen seines Herzens als Notfall in die Klinik. Erneut Bypässe? Brustkorb auf und an die Herz-Lungen-Maschine? Wir hatten Angst, dass das nach sechs Jahren wieder passieren könnte. Jeden Tag bekam er von uns Anrufe, Nachrichten, Besuch. Auch er hatte Angst vor der bevorstehenden Herzkatheter-Untersuchung und sagte das auch.
Wir versuchten zu beruhigen. Dann das Ergebnis: Alles doch gut. Kurz danach schrieb er uns – vermutlich hormonell besoffen vor Erleichterung – in einer Mischung aus Italienisch, Französisch und Englisch. Wir schüttelten mal wieder den Kopf. Sehr gut. Sein Blödsinn war zurück. Und spürten nochmal, wie kostbar unsere gemeinsame Zeit ist.
Susann Sitzler hat sich durch das Schreiben mit ihrem verstorbenen Vater versöhnt. Foto: Pressebild/ Henrik Stampe
Der Psychologe und Sozialanthropologe Wassilios Fthenakis sagt, ein Mann habe sein Vaterschaftskonzept – sein Selbstbild von sich als Vater – schon entwickelt, bevor er Kinder habe. Es hänge von den Erfahrungen ab, die er mit seinem Vater in der eigenen Kindheit gemacht habe. Waren sie positiv, nähmen sich diese Väter ihren eigenen Vater zum Vorbild. Waren sie negativ, kompensierten sie dies oftmals, in dem sie ein besonders liebevoller und weniger strenger Vater zu sein versuchten.
Als mein Opa starb, 1991, daran erinnere ich mich noch, spielte ich auf seiner Beerdigung um die Grabsteine herum mit meinen Cousins Verstecken. Ich hatte vor diesem Mann, mit den wässrigen Augen und den langsamen Bewegungen, der plötzlich ganz laut schreien konnte, immer Angst gehabt. Jetzt nicht mehr. Er war meinem Papa ein strenger Vater gewesen. Zu seinen vier Kindern habe er immer wieder gesagt: „Wenn du nicht parierst, fliegst du durchs geschlossene Fenster.“
Vater ist ein Fels in der Brandung
Mein Papa erzählte uns das oft scherzhaft. Ich glaube, er konnte es selbst nicht richtig einordnen. Und tat alles dafür, ein guter Sohn zu sein, strebsam und diszipliniert. Er hat das Erbe seines Vaters, die Firma, weiter geführt. Ein eigener Berufswunsch? Nicht vorgesehen.
Aus heutiger Sicht ist mir klar: Mein Opa war vermutlich kriegstraumatisiert. Der Vater meines Vater hatte nur überlebt, weil die Kugel durch seinen Helm ging, nicht ein paar Zentimeter tiefer. Nach fast 300 Seiten bleibt Susan Sitzler an der Urnenwand sitzen. Sie schreibt: „Wer hätte das gedacht. Nun sitze ich hier und freue mich über meinen Vater. Und merke mit Glück und Erstaunen, dass da kein Schmerz mehr ist. Sondern ein Mensch, auf den ich stolz geworden bin.“ Ihr ist klar geworden: „Um erwachsen zu werden, muss die Tochter bereit sein, sich nicht nur von ihrem eigenen Vateridol zu verabschieden. Sondern sich auch vom Bedürfnis zu befreien, in ihrem Vater oder irgendeinem anderen Mann ein Idol zu sehen.“