Mit der Widerspruchslösung könnten die Organe dieser Menschen im Falle eines Hirntods transplantiert werden, sofern den Angehörigen kein Widerspruch bekannt ist. Wichtig sei allerdings, dass jeder schnell, unbürokratisch und unkompliziert widersprechen könne. Ein kurzer Eintrag ins Register oder auch eine Erklärung, von der die Angehörigen wissen, würde schon als Widerspruch genügen. „Wenn ich nicht Organspender sein möchte, kann ich mir hundertprozentig sicher sein, dass ich es auch nicht werde.“
Margot Papenheim sieht das anders. Die 63-Jährige ist Referentin beim Verband der Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD). „Wir lehnen die Widerspruchslösung ab“, sagt sie. Zum einen wegen ethischer Bedenken, da eine „Spende“ nicht mehr freiwillig wäre, wenn man ihr ausdrücklich widersprechen müsse – eine Position, in der ihr Verband sich mit der evangelischen und katholischen Kirche einig sei. Zum anderen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken, da die Unantastbarkeit der Menschenwürde auch über den Tod hinaus gelten müsse. Außerdem, sagt Papenheim, würde die absolute Zahl der Organspender durch die Widerspruchslösung nicht besonders steigen. 2018 hätte es nur 217 Spender mehr gegeben, wenn bereits eine Widerspruchslösung gegolten hätte.
Margot Papenheim, Referentin der Evangelischen Frauen Deutschland © Foto: Privat
Dass die EFiD sich so im Bereich Organspende engagieren, habe mit der Änderung des Transplantationsgesetzes 2012 zu tun, erklärt Margot Papenheim. Mit der Gesetzesänderung habe sich die Werbung für Organspenden massiv vermehrt. Die Werbekampagnen zur Organspende zielten oft auf Frauen und setzten diese unter besonderen moralischen Druck. Dieser Druck käme auch von den Kirchen, die „Organspende als eine Frage der Nächstenliebe“ definiert hätten, sagt Papenheim.
Die EFiD haben deshalb eine eigene Kampagne gestartet, mit einem alternativen Organspendeausweis. 40 000 davon habe man inzwischen verteilt, sagt Papenheim. Der Ausweis sei differenzierter als der übliche Organspendeausweis der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. So könne man etwa ankreuzen, dass auch im Falle einer vorliegenden Verfügung ein Angehöriger das Recht habe, der Organspende zu widersprechen.
Das eigentliche Problem sieht Margot Papenheim darin, dass zu wenige Erklärungen zur Organspende abgegeben würden. Papenheim ist sich sicher: „Viele Leute setzen sich schon mit dem Tod auseinander, haben aber Bedenken gegen Organspenden. Deshalb füllen sie keinen Ausweis aus.“ Die Menschen müssten besser informiert werden, unter anderem deswegen unterstützten die EFiD den Baerbock-Entwurf.
Für Wolfgang Bettolo sind viele Argumente gegen die Widerspruchslösung nicht stichhaltig. Schließlich gebe es ähnliche Lösungen in den meisten europäischen Ländern. Tatsächlich gelten Widerspruchslösungen in 21 EU-Ländern. „Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Gesellschaft Organspende möchte, dann sollten wir uns dafür einsetzen“, sagt Bettolo. Wenn es durch eine solche Lösung gelinge, die Wartelisten zu verkürzen, wäre sie „ethischmoralisch das Richtige“.
Bedenken, nicht Bequemlichkeit
Einige Kritikpunkte der EFiD gehen über die Gesetzentwürfe heraus. So die Frage: Sind Hirntote tatsächlich tot? Nach den Kriterien der Neurologie gilt ein Mensch mit dem Hirntod als tot. Die Evangelischen Frauen sehen das nicht so: „Hirntote sind nicht endgültig tot, sondern sterbende Menschen. Für uns trifft die Entscheidung, was Leben und was Tod ist, nicht die Medizin allein“, sagt Margot Papenheim. Den Tod könne man nicht nur am Ausfall des Gehirns festmachen. Zwar sei vom Hirntod eine Rückkehr ins Leben nicht mehr möglich, aber Hirntote könnten beispielsweise noch verdauen, ausscheiden oder von lebenden Kindern entbunden werden. Häufig käme es bei der Organentnahme auch zu Bewegungen des Körpers.
Können Hirntote also Schmerzen empfinden? „Das ist medizinisch nicht korrekt“, widerspricht Wolfgang Bettolo. Es gebe die „Lazarus-Phänomene“, Reflexe aus dem Rückenmark, die zu Zuckungen führen können.
Die Evangelischen Frauen sprechen sich dafür aus, dass eine Organentnahme nur unter Vollnarkose stattfinden soll. „Wenn ich mit einer Narkose helfen könnte, den Angehörigen die letzte Angst zu nehmen, würde ich das tun, auch wenn es medizinisch nicht notwendig ist“, sagt Wolfgang Bettolo dazu.