Der Stuttgarter Stiftskirchenpfarrer Matthias Vosseler hat dagegen mit dieser Entwicklung kein Problem. „Ich glaube daran, dass Gott aus dem Nichts heraus neues Leben erschaffen kann, also kann er es doch auch aus Asche“, sagt er. Viel schwieriger findet er es, wenn eine Urne in einer dafür vorgesehenen Wand beigesetzt wird. Das ist ihm zu unpersönlich. Und noch etwas gibt Vosseler zu bedenken: In evangelischen Trauerfeiern wird von den Angehörigen und Trauergästen Erde in das Grab geschaufelt. Dieses Ritual findet er wichtig. Denn es bekräftige den biblischen Gedanken „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“. Für Vosseler ist so auch die Bestattung zuende geführt. Vor einer Urnenwand entfällt dieses Ritual. Und auch bei Trauerfeiern, in deren Anschluss der Sarg ins Krematorium gefahren wird. Meist werde die Urne dann später in aller Stille mit einem Friedhofsmitarbeiter beigesetzt.
Trauer-Ritual © Foto: Werner Kuhnle
Dass die Trauer einen Ort hat, zu dem man hingehen kann, ist sowohl für Matthias Vosseler als auch für Dirk Pörschmann wichtig. „Ein Grab kann ein Ort für die Tauer sein. Ich komme hin, baue Nähe zum Verstorbenen auf, und danach nehme ich wieder Abschied und gehe zurück ins Leben, das ist eine wiederkehrende Übung“, erklärt Pörschmann den Prozess. Das könne helfen, die Trauer zu bewältigen. Anonyme Bestattungen sind für Pörschmann auch deshalb schwierig, weil dieser Ort des Abschiednehmens fehlt. Matthias Vosseler respektiert den Wunsch nach anonymer Bestattung. Er findet es aber auch schade, dass in solchen Fällen jemand stirbt und niemand es so richtig mitbekommt. Zwar sei es verständlich, wenn Menschen anderen Menschen nicht zur Last fallen wollen, aber seiner Erfahrung nach ist es auch schwer für Angehörige und Nachbarn, wenn jemand anonym beigesetzt wird. Denn sie könnten sich dann nur schwer verabschieden.
Eine andere Entwicklung aus der Neuzeit ist die Beisetzung in Friedwäldern. Dirk Pörschmann sieht das differenziert. Einerseits hätten die Friedwälder ein Ventil geöffnet für den Frust, der durch überregulierte Friedhofssatzungen entstanden war; inzwischen gebe es viele Friedhofsverwaltungen, die auf die Wünsche der Menschen besser eingehen als früher. Oft könne man sich auch auf dem Friedhof unter einem Baum beisetzen lassen. Doch während viele Menschen daran glauben, dass ein Friedwald die große Freiheit bedeutet, ist sich Pörschmann da nicht ganz so sicher. Denn zumeist dürfe man an dem jeweiligen Baum nichts ablegen, häufig sei es auch schwierig, den einen Baum, unter dem der Angehörige liegt, wieder zu finden. Und zudem seien die Wälder ja nicht mitten im Ort. „Sie sind oft abgelegen, weg von der Zivilisation.
Ein Ort für die Trauer
Im Prinzip werden damit die Toten verbannt“, sagt Pörschmann. Den Wert der Friedhöfe hingegen sieht Pörschmann nicht nur als Beisetzungsort und Kulturgut, sondern auch als sozialen Ort der Trauer. Man müsse sich nur einmal vorstellen, dass ein Mensch im Garten hinter seinem Haus begraben liegt. „Glauben Sie, da würde jemand klingeln und sagen: ‚Ich möchte mal gern den Anton im Garten besuchen‘?“ Für Pörschmann ist dieser Gedanke absurd, und in Deutschland ist das ohnehin nur in Bremen erlaubt.
© Foto: Werner Kuhnle
Insgesamt sind die Formen, wie Menschen von ihren Angehörigen Abschied nehmen, vielfältiger geworden. Vieles, was früher undenkbar schien, ist heute möglich. Beispielsweise, den eigenen Sarg zu zimmern oder zu bemalen. Die Hospizbewegeung habe daran einen großen Anteil. Denn viele Menschen wollen inzwischen bewusst trauern. Das ist gut, finden sowohl Pörschmann als auch Vosseler. „Es gibt keine Trauerfeier von der Stange mehr“, sagt der Stiftskirchenpfarrer. Jeder Mensch sei ganz individuell, und da sei es doch auch angemessen, dass die Trauerfeier individuell gestaltet ist.
Natürlich gibt es bei evangelischen Gottesdiensten Elemente, die überall gleich sind. Dass der Pfarrer oder die Pfarrerin den Talar trägt beispielsweise. Oder dass ein Bibelvers, das Vaterunser und der Segen für den Verstorbenen und die Trauergemeinde im Gottesdienst vorkommen. Aber ansonsten gibt es sehr viele Freiheiten, die auch immer stärker genutzt werden. Häufig werden beispielsweise Lieder vom Band gespielt, die dem Verstorbenen zu Lebzeiten etwas bedeutet haben. „Wenn das irgendwie mit dem christlichen Glauben vereinbar ist, habe ich damit auch kein Problem“, sagt Matthias Vosseler. Häufig werde am Sarg oder an der Urne ein schönes Bild des Verstorbenen aufgestellt, dazu eine oder mehrere Kerzen. „Es hilft in der Trauer, sich auch an die schönen Zeiten zu erinnern“, sagt Vosseler. Für ihn ist es wichtig, das Leben des Verstorbenen mit einem Bibelvers zu verknüpfen. Das kann der Konfirmandenspruch sein oder auch der Trauspruch. Oder er sucht einen Bibelvers heraus, der zu dem Leben des Verstorbenen passt.
© Foto: Werner Kuhnle
Die individuellere Gestaltung von Trauerfeiern ist das Eine. Dass es aber immer mehr eine Frage des Geldes sei, wie jemand bestattet wird, das ist das Andere. Die Bestatterin Ajana Holz aus Schwäbisch Hall zum Beispiel meint, dass es viel besser wäre, wenn die Kosten dafür von der Gesellschaft getragen würden. In der Schweiz gebe es das zum Teil, dass Sarg und Friedhofsgebühr von der Stadt getragen werde. Die Kosten einer Beerdigung sieht auch Matthias Vosseler als Problem. Immer häufiger gebe es von der Stadt angeordnete Bestattungen. „Man stirbt allein, vor allem in Stuttgart“, sagt er. Gerade dann sei ein christlicher Gottesdienst wichtig, denn damit gebe man das Leben dieser Menschen in Gottes Hand zurück. Und immerhin gibt es für diese Fälle in der Landeshauptstadt ein Chörle, das bei solchen Beerdigungen singt.
◼ Im Museum für Sepulkralkultur in Kassel ist noch bis 15. März 2020 die Ausstellung „Lamento“ zu sehen. Internet: www.sepulkralmuseum.de