Kaum 200 Meter davon entfernt: Menschen, bepackt mit Einkaufstüten. Ein paar Schritte weiter fällt der Blick auf die ersten Buden. Wollsocken, gebrannte Mandeln, Magenbrot. Davor eine Desinfektionsstation für die Hände mit der Aufforderung „Bitte aufs Pedal treten“. Kein Vergnügen, die knuspersüße Knabberei mit den Fingern direkt aus der Tüte zu essen. Der chemische Geruch steigt einem in der Nase.
Emsiges Menschengewimmel auch auf der Königstraße, der gut ein Kilometer langen Fußgängerzone. In deren Baumkronen scheinen lauter Glühwürmchen zu sitzen. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich die goldgelben Lichtpünktchen als LED-Leuchten. Diese Illumination zählt zu den „Glanzlichtern Stuttgart“, mit der die Stadt der Bevölkerung ein wenig Weihnachtsatmosphäre spendieren will. Und den Anreiz erhöht, die Geschenke und anderes mehr doch in den niedergelassenen Geschäften vor Ort zu kaufen und nicht über den Versandhandel im Internet zu bestellen.
In einem Telefonat mit Sven Hahn, Geschäftsführer der die Stuttgarter Gewerbetreibenden vertretenden City-Initiative, ist später zu erfahren, dass die Einkaufsmeile deutlich weniger stark besucht ist als normalerweise. Demnach halten sich derzeit etwa ein gutes Drittel weniger Menschen auf der Königstraße auf als im Vergleichsmonat eines Jahres ohne Pandemie. Deswegen begrüßt der City-Inititative-Geschäftsführer nicht nur die weihnachtliche Beleuchtung und den Budenzauber mit Glühwein zum Mitnehmen, sondern wirbt mit einer Kampagne auch dafür, den lokalen Handel zu unterstützen und etwas gegen das Ladensterben und die drohende Innenstadtverödung zu unternehmen. „Es geht darum, die Stadt als Aufenthaltsort zu stärken und attraktiv zu halten.“ Ist die Gastronomie, sind Kinos, Museen, Theater und Veranstaltungen geschlossen, stimmt der ganze Mix nicht mehr. „Die Leute kommen, um etwas zu erleben“, sagt Hahn, eben nicht allein, um einzukaufen.
Advent im großstädtischen Raum erleben! Ist das in dieser Ausnahmesituation überhaupt möglich? Die Idee, im Innenhof des Alten Schlosses danach zu suchen, führt jedenfalls in die Irre. Statt auf einen Christbaum oder Adventskranz trifft man dort auf Container. Sie fungieren als Infostände für die „Fashion“-Ausstellung, die auf absehbare Zeit nur digital den Laufsteg geht.
Also weiter, über den wundersam leeren, sonst zu dieser Zeit mit den Buden des Weihnachtsmarkts zugestellten Schillerplatz hinüber zur Stiftskirche. Und siehe da: Am Portal weckt ein Plakat mit der Aufschrift „Weihnachten fällt aus dem Rahmen – Raum für Neues“ die Neugier und ermuntert dazu, am Adventsmoment teilzunehmen. Der Blick auf die Uhr verrät: Beginn ist in zehn Minuten. Die vergehen mit einem Spaziergang über den nahen Marktplatz, dessen Pflaster gerade neu verlegt wird. Trotz geschmücktem Weihnachtsbaum und Sternenschweif am Rathausturm sieht es hier vor allem nach Baustelle aus.
Auf dem Rückweg zur Stiftskirche geht’s vorbei an überquellenden Mülleimern. Jede Menge Pappbecher, aus denen Glühwein und Kaffee zum Mitnehmen getrunken wurde, verschmierte Snack-Boxen und Einwegmasken sind unschöne Begleiterscheinungen der geschlossenen Gastronomie und des noch immer grassierenden Virus.
Corona-Weihnachten: Auszeit im Kirchenraum tut gut
„Möchten Sie zum Adventsmoment oder nur die Kirche besichtigen?“, lautet freundlich die Nachfrage am Eingang der Stiftskirche. „Zum Adventsmoment, bitte.“ Dann darf man sich einen Platz suchen. Bereitgelegte Sitzkissen gibt es in jeder zweiten Bank, einzeln oder paarweise. Viel mehr als eine Handvoll Menschen sind nicht erschienen. Da zählt der links vor dem Altar platzierte Posaunenchor schon mehr Köpfe. Sein „Tochter Zion“ füllt den Raum mit freudig jauchzendem Klang. Eine Frau tritt hinzu, stellt sich als neue Citydiakonin Doris Beck vor und erinnert die Anwesenden daran, dass Singen derzeit nicht möglich ist. „Ich lese den Liedtext, im Anschluss spielt der Posaunenchor die Melodie, so dass Sie im Herzen mitsingen können: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit...“ Dazu und zum Impuls über die Beschwernisse der Zeit sind Diabilder von einem Stuttgarter Brauhaus und Kino-Reklame in großen Lettern eingeblendet. „Ohne Kunst und Kultur wird’s still“ ist da zu lesen, die Buchstaben „uns“ sind rot hervorgehoben. Die Pandemie bestimmt auch das Thema dieser Bildmeditation mit Impuls. Dennoch: Die Auszeit im Kirchenraum tut gut. Und da der Adventsweg im Chorraum noch eine halbe Stunde begangen werden kann, betreten die Besucher anschließend in sicherem Abstand voneinander den Tunnel aus schwarzem Tuch. Hier herrscht erst Enge, danach leuchtet ein Licht in der Krippe über der weiten Welt. Wer mag, hinterlässt eine Botschaft, nimmt eine Ermutigungstüte oder eine Weihnachtsgeschichte aus dem Bilderrahmen.
Porsche Lichtinstallation, Stuttgart. Foto: Juli Lutzeyer
Draußen ist es dunkel geworden. Der richtige Zeitpunkt, um am Schlossplatz die Lichtinstallationen anzuschauen, mit denen das Stadt-Marketing auf „Stuttgarter Glanzlichter“ aufmerksam macht. Das irdische Blingbling mit Porsche, Wilhelma-Elefant und Fernsehturm überstrahlt den festlich geschmückten Weihnachtbaum vor dem Königsbau. Adventliche Motive wie eine im Gras wie abgestürzt liegende Weihnachtskugel spielen eine Nebenrolle. So will sich keine vorweihnachtliche Stimmung einstellen. □