Konfirmanden gehen immer noch zur Reihe. Pfarrer Maximilian-Friedrich Schiek, Pfarrer zur Dienstaushilfe beim Dekan, steht im Eingangsbereich und wartet auf seine Truppe von der Friedenskirche Bietigheim. „Ich habe von Anfang an festgelegt, dass wir einmal während des Jahres diese besondere Aktion besuchen und das auch als Unterricht gilt“, erzählt er. Weil er die Idee total klasse findet. „Kirche und Öffentlichkeit werden oft so auseinanderdividiert, aber gerade wenn im Kino ein Thema mit diakonischem Bezug läuft, kann man damit wunderbar Aufmerksamkeit schaffen.“ Und bei einem Blick auf die bisherige Titelliste sei ja wirklich das „Who is who“ der guten Filme vertreten gewesen. „Da würde ich auch was für das Klausurwochenende des Kirchengemeinderats finden.“
Während die Friedenskonfirmanden langsam eintrudeln und sich bei Graf schon mal mit Popcorn und Chips versorgen, ist die erste Vorführung des Films im Saal zu Ende. Teil des Konzepts ist es, dass im Anschluss zu einer Gesprächsrunde eingeladen wird.
Kirche im Kino - "Die Besten aller Welten"
„Die Beste aller Welten“ erzählt die Geschichte des Regisseurs Adrian Goiginger, der am Rande von Salzburg mitten im Drogenmilieu bei seiner heroinsüchtigen Mutter Helga aufwächst, die zwischen Rausch und Fürsorge für ihren heiß geliebten Sohn hin- und herschwankt. Das passt perfekt zur Aktionswoche für Kindern aus Suchtfamilien. Janika Binder, Projektkoordinatorin von „KiSEL“ (Kinder suchtkranker Eltern) beim Kreisdiakonieverband Ludwigsburg, war auf Turrey zugekommen, ob man nicht mal was zusammen machen könnte. „Wir hatten den Film tatsächlich schon ausgesucht, das ergab sich also perfekt“, erzählt er. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Lisa Hecker von der Jugenddrogenberatung „chillOUT“ beim Kreisdiakonieverband steht sie nun den Zuschauern zur Verfügung.
Im Anschluss an den Film bieten Mitorganisator Christian Turrey (von rechts), Janika Binder (Projektkoordinatorin „KiSEL“) und Lisa Hecker („chillOUT“, beide Kreisdiakonieverband Ludwigsburg) ein Gespräch an. (Foto: Stefanie Pfäffle)
Eine gute Handvoll Erwachsene ist dageblieben und die sind teilweise erschüttert. „Wir sind noch nie in ein solches Milieu gegangen und ich bin froh, dass ich jetzt nachmittags hier bin und nicht erst um 20 Uhr“, gibt ein älterer Herr zu. Er hätte nicht gewusst, ob er sonst hätte schlafen können, denn über diesen Film müsse man sich Gedanken machen, den Inhalt verarbeiten. „Es gab Eltern, die vorab gesagt haben, ihr Kind darf ihn nicht sehen, weil er ihnen zu heftig ist“, bestätigt Turrey.
Eine Frau fragt sich, wie es mit der Mutter so weit kommen konnte, dass man solche Probleme in der Gesellschaft doch nicht übersehen und einfach nur die rosa Seite zeigen dürfe. Sie redet sich regelrecht in Rage, will schon gehen, als ihre Nachbarin die Hand hebt und sagt, es gebe aber auch die andere Realität. „Ich bin seit 30 Jahren trockene Alkoholikerin und das da in dem Film kommt mir alles bekannt vor“, gibt sie offen zu. Auch sie habe den Schein nach außen immer bewahrt. „Traut dem Schein nicht.“
Kirche im Kino - Aufklärung und Unterhaltung
Man gehe davon aus, dass jedes sechste Kind in Deutschland in einer Familie mit Suchtproblemen aufwächst, berichtet Binder. „Da ist aber seltener von Heroin, sondern meistens von Alkohol die Rede, die Volksdroge Nummer eins.“ Das findet sich im Gegensatz zum an der Nadel hängenden Abhängigen überall, auch in Bietigheim, sagt Lisa Hecker. Die Szene habe sich auch geändert, viele Deals laufen übers Internet, bei Jugendlichen direkt auf dem Schulhof. „Der Hauptumschlagsplatz in Stuttgart war früher der Bahnhof, jetzt ist es das Einkaufszentrum Milaneo – einfach weil es da drahtloses Internet gibt.“
Kinobetreiber Jürgen Graf verkauft Karten, macht Popcorn und verhandelt im Vorfeld mit den Filmverleihern. (Foto: Stefanie Pfäffle)
Jürgen Graf unterbricht den Austausch. „Draußen warten die Nächsten, wir müssen hier zum Schluss kommen“, mahnt er an. Seine Frau wuselt noch schnell durch die Reihen und sammelt vergessene Flaschen ein. Während sich die einen Gäste durch den Seitenausgang mit ihren Gedanken verabschieden, strömen bereits die nächsten in den Saal. Es wird recht voll, was Turrey freut. „Beim Auftaktfilm im Januar waren beide Vorstellungen ausverkauft, da mussten sogar einige Leute wieder gehen“, erzählt er. Gut, wenn man für solche Fälle mit einem Abo für alle fünf Termine gerüstet ist. Günstiger werde der Kinobesuch dadurch zusätzlich, sagt er.
Der Duft von Popcorn legt sich erneut über den Saal. Jugendliche rascheln mit ihren Chipstüten und kichern. Turrey führt kurz in den Film ein, stellt die beiden Damen für die anschließende Gesprächsrunde vor und dann wird auch schon das Licht gedimmt. Die filmische Reise nach Salzburg in eine völlig andere Welt. als die Anwesenden sie kennen dürften, kann erneut beginnen.
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