Sie behandelt diese kleinen Wesen so, wie sie sich auch gegenüber einem lebenden Baby verhalten würde. Sie spricht mit ihm, streichelt die zarte, meist durchsichtige Haut und macht die Eltern dabei auf die Schönheit ihres Kindes aufmerksam. So wie es eigentlich alle Eltern erfahren, wenn andere ihr Neugeborenes betrachten. Dabei sind totgeborene Babys auf den ersten Blick für einen Menschen, der so etwas noch nie gesehen hat, oft schwer verkraftbar. Doch wenn man die liebevolle Stimme hört, mit der die Sternenkind-Fotografin einen auf die filigranen Details aufmerksam macht, wenn sie ihre Bilder präsentiert, stellt sich Gänsehaut ein. Ebenfalls, wenn man die kleine Hand mit dem zarten Armbändchen sieht, friedlich auf dem Handrücken der Mutter liegend, die das gleiche Armband trägt und die Hand des Vaters beide umfasst. „Ich fotografiere nie den Tod, sondern immer das sehnlichst erwartete Leben“, sagt sie.
Sternenkinder-Fotografen
In der Corona-Zeit verbieten einige Krankenhäuser den Sternenkinder-Fotografen aus Sicherheitsgründen den Zutritt. Eine für alle Beteiligten fast nicht aushaltbare Situation. Die Eltern selbst sind selten in der Lage, ihr totes Baby zu fotografieren. In manchen Krankenhäusern übernimmt das die Hebamme. Doch das ist kein Ersatz für die hohe Kunst von Fotografen, die nicht nur mit den Augen, sondern vor allen Dingen mit dem Herzen sehen. Es gibt mittlerweile Kompromisse. Lohr bekommt ein eigenes Zimmer in der Klinik für die Bilder oder hat auch schon beim Bestattungsunternehmen fotografiert. In ihrer wichtigen Arbeit wird die Organisation „Dein Sternenkind“ von dem Verein „Herzenssache“ unterstützt. Um die ersten und letzten Bilder noch liebevoller gestalten zu können, nähen viele Frauen für diese Handvoll Mensch kleine Strampler oder Kleidchen, Mützchen und Jäckchen im Puppenformat. Diese Kleidungsstücke legt Anja Corinna Lohr in ein aus Brautkleidern hergestelltes Einschlagetäschchen, das sie mit ins Krankenhaus nimmt. Dort kleidet sie verstorbene Kinder liebevoll ein, legt die ganz kleinen in ein wie ein Schiffchen gestaltetes Nest, damit die Eltern ihr Kind überhaupt in der Hand halten können. Die Eltern kennen die Frauen nicht, die das alles für sie gemacht haben. Sie spüren aber deren Mitgefühl, erfahren Nächstenliebe auf ganz besondere Art. Christiane Renner, Ansprechpartnerin für die Herzenssache in Baden-Württemberg, sagt es so: „Im Moment das Abschieds möchten wir zeigen, dass es jemanden gibt, den die trauernden Eltern zwar nicht kennen, der aber an sie denkt und mit ihnen fühlt.“ Pfarrer Andreas Esslinger von der evangelischen Kirchengemeinde in Wart schätzt Anja Corinna Lohr und ihre Arbeit. Durch ihre Fotografien gebe sie den Eltern die Möglichkeit der späteren Erinnerung. Ihre Anwesenheit in der schweren Stunde helfe den Eltern beim Trauerprozess, gebe ihnen die Möglichkeit, zu dem verstorbenen Kind, wenn auch nur kurz, doch eine Beziehung aufzubauen. Für die Mutter bestand diese schon während der Schwangerschaft, aber sie sei auch ganz wichtig für die Trauerarbeit des Vaters.
Anja Corinna Lohr hat im vergangenen Jahr 30 Sternenkinder fotografiert. Foto: Stefan Winkler
Anita Frank, freie Hebamme aus Alpirsbach, hat schon viele Eltern in der schwierigen Situation begleitet. Sie macht Bilder und Fußabdrücke, schneidet eine Haarlocke ab. „Alles ganz wichtig für die spätere Trauerarbeit“, sagt sie. Als Hebamme kommt sie zum Wochenbettbesuch über längere Zeit nach Hause und hilft auch dort, das Unfassbare zu verarbeiten. „Als ich erfahren hatte, dass unsere Tochter gestorben war, wusste ich sofort, dass ich Bilder von ihr haben möchte, weil es die einzige Erinnerung ist, die mir bleibt“, erzählt Verena, die Mutter eines Sternenkinds. Der PC-Stick mit dem digitalen Aufnahmen liegt mittlerweile bei ihr in der Schublade. „Ich weiß, ich kann mir die Bilder anschauen, wenn es mir danach ist.“ Ihr Mann Brice sagt: „Ich wusste nichts von dieser Organisation, bin aber froh, dass es sie gibt. Sie ermöglicht einem, die ersten und letzten Bilder in den Händen zu halten.“ Es sei ein Wechselbad der Gefühle, wenn er darüber rede. „Einmal ein Lächeln, wenn ich über dieses einmalige und so traurige Erlebnis als Vater berichte. Auf der anderen Seite die Trauer über einen schrecklichen Traum, aus dem man nicht aufwacht und sein Kind nie wieder in den Armen halten kann.“ Alles was den Eltern von dem Moment bleibt, sind die Bilder in ihrem Herzen. Und die Fotos, die ihnen die Sternenkind-Fotografin geschenkt hat.