Oft geben die Mütter den Anlass für einen Kontaktabbruch. In der großen Nähe der Mutter-Kind-Beziehung liegt ein Risiko: Das Kind zu lange und zu intensiv an sich zu binden. Eigene Wünsche zu denen des Kindes zu machen, ist nicht untypisch. Mütter wollen „die beste Freundin der Tochter“ sein, Söhne sollen die stärkende Position anstelle des labilen Ehemannes einnehmen. Wenn Kinder sich aus dieser Enge nicht schrittweise zu lösen vermögen, kommt es – für die Eltern unerwartet – zum Eklat.
„Kontaktabbruch ist ein brisantes und schmerzhaftes Thema für die Betroffenen und ein Tabu, über das die Menschen nicht gern sprechen“, sagt Martina Rudolph-Zeller, Leiterin der Telefonseelsorge Stuttgart. Kontaktabbruch sei „hoch schambesetzt“. Bei 20 Prozent aller Hilfesuchenden gehe es in den Gesprächen mit den Mitarbeitern um Probleme in den Familien, um Beziehungsbrüche, um eingeschränkte und immer wieder gestörte Kontakte. Gefühle wie Kränkung, Verlassenheit, Einsamkeit, aber auch Trotz und vor allem das Nichtverstehen würden von den Verlassenen genannt.
Eine Mutter formuliert es so: „Ich verstehe nicht, warum die Tochter nicht mehr anruft. Ich weiß, sie hat genug zu tun mit den Kindern. Aber sich so gar nicht um mich zu kümmern, ist nicht gut. Ich habe sie doch großgezogen. Wenn sie jetzt ankommt, dann melde ich mich nicht zurück. Soll sie sehen!“
Beziehungsabbrüche - Kirche sollte mehr Hilfe anbieten und Klarheit geben
„Eltern müssen ihren Blick weiten und die Situation des Kindes wahrnehmen“, sagt Rudolph-Zeller. Ein Satz wie „Ich habe doch alles für dich getan“ verstärke die Barrieren. In Krisen- und Trennungssituationen von Eltern fiele die Perspektive des Kindes oft unter den Tisch und hinterlasse Narben, die lange bis ins Erwachsensein schmerzen und nachwirken, sagt die Leiterin der Telefonseelsorge Stuttgart.
In den Seelsorgegesprächen dürfen die Hilfesuchenden sich zunächst aussprechen. „Wir hören von den schmerzenden Gefühlen und versuchen dann, eine andere Perspektive aufzumachen, um die Toleranz für die eigenen Schwächen zu vergrößern“, sagt Martina Rudolph-Zeller. Fragen wie „Können sie sich vorstellen, dass es bei ihrem Kind Vorfälle aus der Kindheit gibt, unter denen es immer noch leidet?“ Oder „Können sie sich vorstellen, dass sie noch einmal mit ihrem Kind über die Kindheit reden wollen?“ könnten einen Weg zu möglicher Annäherung und Verständigung zeigen.
„Ehre deinen Vater und deine Mutter“: Generationen sind mit dem vierten der zehn Gebote groß geworden. Immer wieder wurde das Gebot als Drohgebärde erlebt. Denn wenn du Vater und Mutter nicht ehrst, kann es dir ja nur schlecht ergehen. „Ich glaube, dass es eine Aufgabe der Kirchen wäre, hier mehr Hilfe anzubieten und Klarheit zu geben“, sagt Claudia Haarmann.
Claudia Haarmann. Foto: Pressebild
Einen „Weckruf“ nennt Claudia Haarmann, wenn Kinder ihre Eltern verlassen. „Wenn Eltern empathisch sind, gibt es eine Chance, dass sich die Generationen wieder annähern“, sagt die Psychotherapeutin. Kinder fordern Respekt, sie wollen nicht sein, wie Eltern sie sich wünschen. „Es ist das normale Gefühl der Autonomie, wenn es Kindern zu eng wird, zu nah, zu kontrolliert.“
Formulierte Sätze von Eltern wie „Uns trennt kein Blatt“, „Wir denken immer gleich“ seien nichts anderes als die eigene Sehnsucht der Eltern nach mehr Tiefe in der Beziehung – „eine vollkommene Illusion“, so formuliert es Haarmann. Vor allem im Kontext Mutter-Tochter spüre die Tochter genau, dass die Mutter die Liebe ihrer Tochter brauche, um die eigene Fragilität zu stabilisieren. „Das aber ist nicht die Aufgabe von Kindern“, stellt die Autorin klar. Die Generation heute stände selbst vor immensen Problemen: Die Zerstörungen der Umwelt, die Anforderungen im Beruf, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. „Bei einer Funkstille muss es die ältere Generation sein, die den ersten Schritt zur Annäherung geht“, sagt Claudia Haarmann. Keiner sei irgendwie „schuldig“ geworden, aus ihrer Sicht haben Eltern oft alles richtig gemacht. Aber das Beste, was eine Mutter geben möchte, sei nicht immer das Richtige für ein Kind. Gefühle und Bedürfnisse von Kindern würden oft nicht wahrgenommen.
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Respekt und Achtung vor den Wünschen des anderen
Eine familiäre Krise fordert immer auch die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit, mit der Kindheit. Wenn es sein muss, mit professioneller Hilfe. „In 99 Prozent der verlassenen Mütter war schon das Verhältnis zur eigenen Mutter getrübt“, hat die Heilpraktikerin erfahren.
Doch wie könnte ein erster Schritt aussehen? „Behutsamkeit ist wichtig“, sagt Jörg Eikmann. Das Aussprechen von Appellen („Warum tust du uns das an?“) oder das Ansprechen der Schuldfrage erzeugten Druck, die Situation werde noch emotionaler und damit unberechenbarer, sagt der Diplom-Psychologe und Autor. Appelle an das kindliche Gewissen machen seiner Ansicht nach viel kaputt, ehrliche Einsicht in die eigene Unvollkommenheit weckt Hoffnungen. „Respekt und Achtung vor den Wünschen des anderen Menschen sind angebracht“, sagt Eikmann. Wer andere als übergriffig und damit zu stark erlebe, provoziere weitere und noch härtere Abgrenzungsbemühungen.