Im Wort „Geduld“ steckt das Verb „dulden“, etwas aushalten. Aushalten, dass man nicht weiß, wie lange etwas dauert. Langmut ist ein anderes, altes Wort für Geduld. Es enthält Mut. Den Mut, mit dem sich eine Situation der Unsicherheit am ehesten meistern lässt.
Geduld ist eine Eigenschaft, die man sich aneignen, die man lernen kann. So wie die Kinder. Wenn sie während einer Autofahrt nörgeln: „Wann sind wir endlich da?“, verschafft ihnen das vielleicht für einen kurzen Moment Luft. Doch schneller kommen sie nicht ans Ziel. Eine andere Erfahrung machen sie spielerisch, wenn sie sich in ein Puzzle versenken und geduldig Teil an Teil fügen, bis das Bild komplett ist: Geschafft!
Geduldige setzen jedes Puzzle zusammen. Foto: EUDPic/ Adobe Stock
Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft zur Vollbremsung gezwungen. Eine ungeduldige Gesellschaft, in der viele immer mehr und dies immer schneller wollen. Sie wollen die Zeit nutzen, effizient sein, möglichst schnell ihr Ziel erreichen. Und wenn sie am Ziel sind? Dann setzen sie sich schon das nächste, und die Unruhe wächst.
Die wohlhabenden Menschen der westlichen Welt sind daran gewöhnt, jedes Bedürfnis umgehend befriedigen zu können. Sie wollen alles, und zwar sofort. Hunger? Wozu kochen, der Lieferservice kommt doch in wenigen Minuten. Sucht man im Internet nach Büchern zum Thema Geduld, so werden Ratgeber angeboten mit Titeln wie „Gib mir Geduld – aber flott! 222 Anregungen für mehr Gelassenheit und weniger Stress“. Auf der Liste erscheint auch ein Bachblütentee, der Geduld und innere Ruhe verspricht, abgepackt in 20 einzeln versiegelten Teebeuteln.
Im Kleinen wie im Großen soll alles schnell gehen. In der durchstrukturierten Arbeitswelt und der optimierten Freizeit hat Geduld keinen Platz. Effizienz, Output, Verdichtung, das zählt. Zeit ist Geld.
Dieses Denken durchdringt auch das Gesundheitssystem. Oft geht es nur noch darum, dass ein Mensch möglichst rasch aus dem Krankenhaus entlassen werden kann. Wirtschaftlichkeit, Geld verdienen steht über allem – und steht dem, was richtig und heilsam ist, nicht selten entgegen. Doch nur Geduld ermöglicht Hinwendung und Qualität. Erziehung und Pflege, Forschung und Lehre, Aufklärung und Heilung gelingen nur, wenn sie mit Geduld ausgeübt werden. Geduldig sein bedeutet auch zu erkennen: Die Zeit ist nicht der Gegner. Es kommt nicht darauf an, von Ziel zu Ziel zu springen, sondern die Zeit wertzuschätzen, die etwas braucht, um sich zu entwickeln, zu runden. Zu warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen, bis eine Aufgabe gelöst, ein Ereignis eingetreten ist.
„Wer geduldig ist, der ist weise; wer aber ungeduldig ist, offenbart seine Torheit.“ So heißt es in Sprüche 14,29. Unabdingbar ist, dass das, was Geduld erfordert, sinnvoll ist, sei es für die Gesellschaft, sei es für den Einzelnen. Geduld aufzubringen fällt leichter, wenn sie von Verständnis und Vertrauen begleitet wird.
Zeit ist nicht der Gegner der Geduld
Langmut darf aber nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden. Die gegenwärtige Situation geduldig durchleben und gestalten heißt nicht zu verkennen, dass die Lasten ungleich verteilt sind. Glücklich, wer Arbeit hat, wer komfortabel wohnt und nicht unter Einsamkeit leidet. Geduld wird auch all jenen abverlangt, denen es weniger gut geht. Sie sollten Hilfe bekommen, wo immer nötig.
Inzwischen werden die Ungeduldigen lauter, sie fordern ein Ende der Schutzmaßnahmen und demonstrieren. Es fällt ihnen leichter, an böse Mächte zu glauben als auf die Kraft der Vernunft zu vertrauen. Und so müssen die Geduldigen argumentieren, dass ihr Weg der bessere ist. Die Geduldigen müssen auch mit den Ungeduldigen geduldig sein.
Elzéard Bouffier, der Mann, der Bäume pflanzte, hat sein Ziel geduldig verfolgt. Auch die Menschheit wird einen Weg finden, mit dem Coronavirus zu leben. Auf diesem Weg heißt es weiter: nur Geduld! □