Auch in der Neckar-Alb-Region brachten sich damals Unzählige ein, um den Geflüchteten zu helfen. Peter Donecker von der Kontakt- und Koordinationsstelle für Ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingsarbeit des Diakonieverbands Reutlingen erinnert sich: „Es entstanden Ehrenamtsgruppen in allen Kommunen und über 30 verschiedene Arbeitskreise im Landkreis Reutlingen, die jeweils vor Ort die ganze Bandbreite abgedeckt haben: Kleidung, Grundausstattung und die legendären Fahrräder. Da halfen Leute aus allen Teilen der Gesellschaft.“ Dass es nun weniger Asylarbeitskreise und Begegnungsstätten gebe, liege allerdings nicht an einer nachlassenden Hilfsbereitschaft. Die ehrenamtliche Arbeit habe sich individualisiert, wie das Beispiel von Regina Pilz und der albanischen Familie zeigt.
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Außerdem hat sich die Ausgangslage stark verändert. Vor fünf Jahren waren die Behörden in Deutschland heillos überfordert. Denn 2015 kamen an manchen Tagen mehr als 500 Menschen in Baden-Württemberg an. Ines Fischer, Asylpfarrerin in Reutlingen, betont deshalb die Wichtigkeit des gesellschaftlichen Engagements: „Die hauptamtlichen Strukturen haben sich oftmals hinter den ehrenamtlichen Strukturen her entwickelt. Es ist sehr stark diesem ehrenamtlichen Engagement zu verdanken, dass so viel gelungen ist.“
Mittlerweile sind die Ankunftszahlen stark gesunken. Im Jahr 2019 kamen laut Thomas Strobl, Innenminister von Baden-Württemberg, durchschnittlich nur noch 28 Menschen pro Tag in dem Bundesland an. Und das, obwohl im gleichen Zeitraum laut dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen die Zahl gewaltsam Vertriebener weltweit um knapp ein Viertel auf fast 80 Millionen angewachsen ist. Zu den gesunkenen Zahlen in Deutschland tragen unter anderem der Flüchtlingspakt mit der Türkei aus dem Jahr 2016 sowie ein härteres Vorgehen an den Außengrenzen der Europäischen Union bei. Ines Fischer hält das für unmenschlich: „In Europa sprechen wir über Menschenrechte, ziehen aber eine Grenze nach der anderen so hoch, dass Menschen nicht reinkommen oder sogar sterben. Für mich ist das doppelzüngig und nicht mit meinem christlichen Weltbild vereinbar.“
Peter Donecker sieht auch innerhalb Deutschlands eine zunehmend ablehnende Haltung der Regierung in Asylfragen. Umso wichtiger sei privates Engagement. Deshalb sei ein Ansatz des Diakonieverbands Reutlingen, die Ehrenamtlichen mit dem aktuellen Stand der Asylgesetzgebung auf dem Laufenden zu halten, um Geflüchteten Rechtsbeistand geben zu können. Viele Schutzsuchende hätten nämlich verdient zu bleiben. Zudem seien es existenzielle Gründe, aus denen sie nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden könnten. Aber bei den Behörden werde meist rein nach Aktenlage entschieden. Dabei endet das Asylverfahren für Geflüchtete aus verschiedenen Herkunftsländern oft sehr unterschiedlich. „In Syrien haben wir einen offensichtlichen Bürgerkrieg. In Afrika haben wir in vielen Staaten eine strukturelle Ausbeutung des Landes, die oft auf die europäische Kolonialisierung zurückgeht.
Peter Donecker, Diakonie Tübingen. Foto: Privat
Anti-Willkommenskultur: Unmenschliche Grenzen und Doppelmoral
Menschenrechtsverletzungen im wirtschaftlichen und sozialen Sinne werden aber nicht als individuelle Asylgründe anerkannt“, erklärt Ines Fischer. Den Schutzsuchenden, die bereits in Deutschland sind und die mit Asylbewerbern aus anderen Herkunftsländern zusammenleben, sei es oft schwer zu vermitteln, warum ihre Notlage nicht wie bei den anderen zu einem Aufenthaltsrecht führt.
Ein Beispiel dafür ist Mbaly Ceesay. Der 40-Jährige aus dem westafrikanischen Gambia lebte bis vor kurzem in ständiger Unsicherheit: „Ich hatte große Angst. Ich konnte in jedem Moment abgeschoben werden.“ Erst nach sieben Jahren, in denen er kontinuierlich mit mehreren Jobs und selbst finanzierten Deutschkursen seinen Integrationswillen gezeigt hat, bekommt er nun eine Perspektive: Seine Beschäftigungsduldung wird in ein Aufenthaltsrecht umgewandelt, wenn er weiterhin straffrei bleibt und noch 30 Monate lang durchgängig vollbeschäftigt ist – bei der derzeitigen Wirtschaftslage während der Corona-Pandemie eine große Herausforderung.
Basma Sleii hatte es zum Glück einfacher. Ihr Vater hatte Deutschland 2015 erreicht. Es dauerte nur fünf Monate, bis die junge Syrerin mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kommen konnte. Für sie war der Sprachkurs kostenlos. Außerdem hat sie durch Gespräche mit Nachbarn und Schulfreunden sowie durch Aktivitäten im Asylcafé schnell Deutsch gelernt. Ihre Sprachkenntnisse bringt sie nun unter anderem bei arabischen Übersetzungen im Asylpfarramt ein.
Zwar hat die 23-jährige Muslima auch Rassismus erfahren, beispielsweise bei der Wohnungssuche, aber alles in allem fühlt sie sich in Deutschland willkommen. Das sei heute sogar noch mehr der Fall als am Anfang: „Die Leute hatten jetzt mehr Kontakt zu Flüchtlingen und haben sich an uns gewöhnt.“
Ines Fischer Asylpfarrerin in Reutlingen.
Foto: Nico Bähr
Asylpfarrerin Ines Fischer hofft, dass dieses interkulturelle Verständnis bei allen Menschen ankommt: „Beide Seiten können so viel voneinander lernen.“ Wie Regina Pilz mit ihren albanischen Freunden hat auch Ines Fischer zahlreiche gute Erfahrungen gesammelt: „Wer zum Beispiel einmal bei einer syrischen Familie zu Besuch war, weiß, was wahre Gastfreundschaft ist.“ □