Doch über Heinrich Schütz kam es zum Streit. Die Sachsen saßen am längeren Hebel, und im Februar 1617 war der Streit entschieden: Heinrich Schütz wurde kurfürstlich-sächsischer Hofkapellmeister – neben dem noch lebenden, aber kaltgestellten Kapellmeister Rogier Michael (um 1553 – 1623) und dem Wolfenbütteler Michael Praetorius (1571 – 1621). Praetorius arbeitete als Kapellmeister „von Haus aus“ auch in Dresden. Gemeinsam war die musikalische Ausgestaltung der Hundertjahrfeier der Reformation zu stemmen, zu der Kaiser Matthias die sächsische Residenzstadt besuchte.
Schütz leitete sofort eine Fülle von Reformen ein, schaffte neue Noten an, stellte mehr Musiker ein. Zudem nahm er eine umfangreiche Lehrtätigkeit auf, die ihm von vielen seiner Komponistenschülern und Kapellknaben viel Lob eintrug. Eine enorm fruchtbare Periode begann 1619, als Heinrich Schütz das Kapellmeisteramt dann ganz offiziell übernahm.
Psalmen Davids Schütz Cover Foto: public domain, wikipedia
Er begann seine „Psalmen Davids sampt etlichen Moteten vnd Concerten“, deutsche Psalmvertonungen, die mehrchörig und auf bisher ungehörte Weise Sprachkraft mit dem neuen italienischen Generalbass-Stil verbanden. Man holte ihn – zusammen mit Praetorius und Samuel Scheidt (1587 – 1654) – als Orgelgutachter nach Bayreuth. Und er heiratete: Am 1. Juni 1619 wurde Magdalena Wildeck seine Frau. Sie war 18 und Tochter eines für „Landund Tranksteuer“ zuständigen Dresdener Hofbeamten. Den beiden sind nur sechs gemeinsame Jahre beschieden, dann wird Magdalena mit nur 24 Jahren an den Blattern sterben.
Auch der große, lange Krieg wirft seit dem Prager Fenstersturz 1618 seine Schatten voraus. Als sächsischer Hofmusiker ist Heinrich Schütz mitten im Geschehen: Lange steht das lutherische Sachsen treu an der Seite des Kaisers und der katholischen Habsburger.
Enttäuschte Hoffnungen
Es herrschte noch große Hoffnung auf Frieden im Land und zwischen den Konfessionen, als Heinrich Schütz, Musiker der Hofkapelle und mehr als 800 andere vom sächsischen Hof im Oktober 1621 zu den Huldigungsfeiern nach Breslau reisten. Schütz hatte eigens große Festmusiken für den Staatsakt geschrieben: das „Syncharma Musicium“ (SWV 49) und vermutlich auch das Konzert „Teutoniam dudum belli atra pericla molestant“ (SWV 338).
Auch die „Cantiones sacrae“ von 1625 (SWV 53-93), lateinische Motetten zu vier Stimmen und Generalbass widmete Heinrich Schütz einem katholischen Fürsten: Johann Ulrich von Eggenberg, dem Hofkammerpräsident Kaiser Ferdinands II., einem der reichsten und einflussreichsten Männer seiner Zeit.
Doch die Hoffnung auf Frieden wurde ebenso enttäuscht wie die auf privates Glück. Wie sehr Heinrich Schütz der Tod seiner jungen Frau Magdalena traf, spiegelt das Vorwort zum 1628 veröffentlichten „Becker-Psalter“, einer Sammlung von Psalm-Übersetzungen des Theologen Cornelius Becker, den Schütz teilweise vertonte, um den Schicksalsschlag zu verarbeiten.
Heinrich Schütz hat danach nicht wieder geheiratet. Zwei Töchter hatten die beiden: Anna Justina (*1621) und Euphrosyne (*1623). Die kleinen Mädchen werden, weil der Vater viel unterwegs ist, von Verwandten versorgt und erzogen. Anna Justina starb knapp 17-jährig im Sommer 1638 in Dresden. Auch ihre Schwester überlebte den Vater nicht: Sie starb 1655 mit 31 im Kindbett.
Heinrich Schütz zog es 1628 wieder nach Italien: Es war eine Möglichkeit, dem Krieg zu entfliehen, aber vor allem wollte Schütz dort künstlerisch auftanken. Seit 1613 war kein Geringerer als Claudio Monteverdi (1567 – 1643) Kapellmeister an San Marco in Venedig. Und wie für viele andere Musiker in Nordeuropa schlug auch für Heinrich Schütz das Herz der Künste und vor allem der Musik selbstverständlich in Italien. Wenn Schütz von den „fürnembsten Musicis in Europa“ spricht, meint er damit die Italiener – und nur diese. Es war nur teilweise falsche Bescheidenheit, wenn er sagte, er könne sich „nicht rühmen, als nur dessen... auch nur einen Schatten ihrer Kunst“. Schütz’ Hochachtung vor der italienischen (Musik-)Kultur war aufrichtig und sie war gut begründet.
Florenz. Foto: JLB 1988; pixabay
Heinrich Schütz hatte noch kurz vor seinem zweiten Italienaufenthalt 1627 eine „Dafne“ geschaffen, und lange wurde behauptet, dieses (nicht erhaltene) Werk sei die erste deutsche Oper der Geschichte gewesen. Erhalten ist nur das Libretto, nicht aber Schütz‘ Musik. Aufgeführt wurde die „Dafne“ am 13. April auf Schloss Hartenfels bei Torgau – eine Kurfürstentochter heiratete, und das war prunkvoll auch musikalisch zu verzieren. Das Stück um Apollon, den schlechten Schützen Eros, Liebe, Lust und eine in Lorbeer (griechisch „Dafne“) verwandelte Schönheit passte zu einer Hochzeit.
Das Thema „Oper“ lag damals schon länger in der Luft. Es kam – natürlich – ebenfalls aus Italien. Dort, am Hof von Florenz hatte der Komponist Jacopo Peri (1561 – 1633), Spitzname „Il Zazzerino“ (der Zottelkopf), schon 1598 ein Musiktheaterstück mit dem Titel „La Dafne“ zur Aufführung gebracht, das für manche als „erste Oper überhaupt“ gilt. Von der Musik sind aber nur Fragmente erhalten.
Nach Schütz’ Rückkehr tobte der Krieg in Deutschland erst so richtig. Schütz wich dem Krieg aus, so gut es ging: 1633 wurde er königlichdänischer Kapellmeister in Kopenhagen. Im Herbst 1634 richtete Schütz musikalisch die Hochzeit des dänischen Kronprinzen Christian (1603 – 1647) mit Magdalena Sibylla (1617 – 1669) aus.
Dankbarer Blick zurück aufs Leben
1636 komponierte er die „Musikalischen Exequien“ (SWV 279 – 281) zur Beerdigung seines Freundes Heinrich Posthumus von Reuß – ein weiteres Meisterwerk. Schütz lebt und arbeitet in seiner Heimat Weißenfels, in Hannover, Braunschweig, Hildesheim und Wolfenbüttel, ist 1643 erneut königlich-dänischer Kapellmeister in Kopenhagen.
1645 vertont er „Die sieben Worte Jesu am Kreuz“ (SWV 478) und bittet erstmals den Kurfürsten um Reduzierung seiner Amtsverpflichtungen. Sechs Jahre später bekräftigt er dies und bittet Johann Georg, ihn in den Ruhestand zu versetzen. Er kauft in Weißenfels ein Haus in der Nikolaistraße, das ihm seit 1657 als ständiger Wohnsitz dient. Er organisiert die Hofmusik in Zeitz neu und schafft von 1664 bis 1666 drei große Passionsmusiken, die Lukas-Passion (SWV 480), eine Johannes-Passion (SWV 481a) und die Matthäus-Passion (SWV 479). Er ist inzwischen über 80, sein Leben neigt sich dem Ende zu.
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Es passt zum bewegten, reichen, langen und frommen Leben dieses großen Musikers, der in der Spanne seiner Zeit von so viel Sterben und Tod umgeben war, dass er sich intensiv auf seinen eigenen Tod vorbereitete. Ganz bewusst hat Heinrich Schütz 1671 ein großes letztes Werk geschaffen – seinen „Schwanengesang“. Es war kein Zufall, dass darin sein Lieblingspsalm im Zentrum stand: „Herr, deine Gebote sind mein Lied geworden im Haus, in dem ich Fremdling bin“, lautete mit Psalm 119,54 seine Lebensbilanz. Das ließ ihn getrost, dankbar und hoffnungsvoll hinübergehen. Wie Maria konnte Heinrich Schütz in seinem „Deutschen Magnificat“ am Ende sagen: „Denn er hat große Dinge an mir getan.“ Am 6. November 1672 starb Heinrich Schütz mit 87 Jahren in Dresden.