Auch in Württemberg kam es zur Gründung von Kinderrettungsanstalten. 1823 war die erste in Stuttgart entstanden, im gleichen Jahr eröffnete Pfarrer Friedrich Jakob Philipp Heim in Winnenden eine „Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder“, der Ursprung der späteren Paulinenpflege.
In immer mehr Städten und Dörfern übernahmen Diakonissen die Gemeindekrankenpflege. Es gab Fürsorgestellen für Taubstumme und Blinde, für geistig und körperlich Behinderte und schließlich ab 1914 auch einen eigenen Landesverband der Inneren Mission in Württemberg. Dessen Geschäftsführung lag bis 1945 bei der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart, bis heute ein großer diakonischer Träger mit über 1200 Mitarbeitern.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen ganz neue Herausforderungen auf Kirche und Gesellschaft zu. Ausgebombte Städte und Millionen von Flüchtlingen, die es unterzubringen galt. Hilfsgüter mussten verteilt und Notunterkünfte organisiert werden.
Pioniere der Diakonie: Johann Hinrich Wichern, August Hermann Francke und Theodor Fliedner. Fotos: pd / Wikipedia.
So kam es zur Gründung des Evangelischen Hilfswerks vor 75 Jahren. Schon 1950 ging es mit dem Landesverband der Inneren Mission eine Arbeitsgemeinschaft ein, 1970 wurden beide Einrichtungen zum Diakonischen Werk in Württemberg verschmolzen.
Das bildet seither das Dach von rund 300 diakonischen Einrichtungen in Württemberg. Sie sind allesamt selbständig, die Mitarbeiter dort direkt angestellt und nicht bei der Landesorganisation. Freilich gibt es einheitliche Tarifverträge und eine Satzung, die alle anerkennen. In der ist auch die evangelische Ausrichtung der Arbeit festgeschrieben, wenn heute auch längst nicht mehr alle Beschäftigten evangelisch sind. Die Mitgliedschaft in einer der christlichen ACK-Kirchen ist jedoch noch immer Voraussetzung.
Zwischen Landeskirche und Diakonie in Württemberg besteht eine enge Verbindung. So gehört der Vorstandsvorsitzende der Diakonie – von 2009 bis 2020 Dieter Kaufmann – automatisch dem Oberkirchenrat an.
Das Diakonische Werk ist auch die politische Stimme seiner Mitglieder, berät sie in Wirtschafts- und Rechtsfragen, unterhält Auslandskontakte zu anderen Kirchen und organisiert Fortbildungen für Mitarbeiter und Freiwillige. Auch die Landesstelle für Brot für die Welt ist bei ihm angesiedelt.
Viele große diakonische Träger
Ansonsten agieren die Mitgliedsorganisationen höchst eigenständig. Ihre Mitarbeiterzahl übersteigt oft die des Diakonischen Werks (300) um ein Vielfaches: So hat die Evangelische Heimstiftung über 8000 Beschäftigte, die Bruderhausdiakonie 5000, die Diakonie in Stetten etwa 4000 Mitarbeiter.
Zu den großen diakonischen Trägern in Württemberg zählen auch die Samariterstiftung, die Zieglerschen Anstalten, die Paulinenpflege, die Evangelische Gesellschaft und das Diak Schwäbisch Hall, das 2019 länderübergreifend mit der fränkischen Diakonie Neuendettelsau unter dem Namen „Diakoneo“ verschmolzen ist.
Foto: Eliola, Pixabay
Eine Vielzahl von Sozialstationen und diakonischen Bezirksstellen rundet das Bild ab: Insgesamt stehen hinter den 300 Mitgliedsorganisationen des Diakonischen Werks Württemberg 1400 Einzeleinrichtungen mit 50 000 Mitarbeitern. Knapp 40 000 Ehrenamtliche kommen dazu. Die diakonischen Einrichtungen sind eine wesentliche Säule des Sozialstaats, das Diakonische Werk einer der wichtigsten Wohlfahrtsverbände in Deutschland. Bewusst delegiert der Staat Aufgaben an Institutionen, die seit mehr als 100 Jahren Erfahrung im Dienst am Nächsten haben. Die Diakonie ist also bis heute ein wichtiger Bestandteil des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens. Wichern hätte seine Freude daran, auch wenn sein Begriff von der „Inneren Mission“ den Wandel der Zeiten nicht überlebt hat. □
◼ Diakonisches Werk Württemberg, Telefon 0711-16560, im Internet: www.diakonie-wuerttemberg.de