Eigentlich war es der Termin bei ihrem Hausarzt, der am Ende dazu führte, dass sie heute ihr Schicksal kaum glauben kann. Nach dem Tod ihres Mannes fragte der sie nämlich, wie es ihr gehe, was sie so mache. Er berichtete davon, dass er zum Paartanzen in einen Tanzclub gehe, wo man Standardtanzen lernen könne.
„Musik war schon immer meins. Mein Mann wollte nie tanzen.“ Jetzt suchte sie sich also einen Tanzclub. Ganz ohne Tanzpartner. „Einer war aber über.“ Er wurde herumgereicht an all die männerlosen Frauen. Ein Jahr älter als sie war dieser Tänzer. Und tanzte seit 30 Jahren – „wahnsinnig gerne.“
Zwei Jahre vergingen. Dann war das Christoph-Walter-Orchester aus der Schweiz in der Gegend und wollte ein Konzert geben. „Da wollte ich unbedingt hin!“ Doch wie? Sie hatte kein Auto, konnte auch nicht Auto fahren. Sie brauchte also einen Chauffeur. „Ich habe ihn gefragt, ob er mitkommen wollte.“ Er wollte. „An dem Abend, das war so ein tolles Orchester, so ein toller Abend und da hat’s dann halt gefunkt.“ Sie lacht. Geniert sich.
Zwei Jahre lang hatte sie sich ja bereits in seinen Armen übers Parkett bewegen lassen. Angeblich ganz ohne Funkenflug. „Da war nix. Gar nix. Überhaupt nix.“ Dann dieser Abend. Zwar gab es noch keinerlei Berührungen während des Konzerts, keinen Arm, der sich plötzlich um ihre Schultern legte, keine Hand, die sich auf dem Oberschenkel des anderen ausruhte. Und erst recht auch kein Küsschen. Aber …
„Er hat mich nach Hause gebracht und wollte eigentlich wieder fahren.“ Wie es sich gehört. Doch dann rutschte es ihr einfach heraus: „Er solle doch noch mit reinkommen.“ Ließ er sich nicht zweimal drum bitten. Sie erzählt vorsichtig: „Und ja, dann haben wir uns umarmt und …“ Sie bricht ab. Und? Geküsst? Peinliches Lachen. Schließlich gibt sie schüchtern zu: „Ja.“ Pause. Pause. Pause. „Was soll ich sagen, das hat mich halt einfach auch überrannt. Das gibt’s halt.“ Sie lacht.
Sie führt das alles auf die Musik zurück. „So ein tolles Konzert! Fantastisch!“ Die Lieder, die Klänge, die Unbeschwertheit. „Irgendwas lag in der Luft. Er sagt, es war Fügung.“ Sie bedauern, dass jetzt ja alles tot sei, keine Konzerte. „Aber sobald Christoph Walter wieder spielt, sind wir dabei.“
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Am 2. Januar 2017 war das mit ihnen beiden. „Das Datum werde ich nie vergessen.“ Seither tanzen sie nicht nur miteinander. Seither darf’s auch gerne ein bisschen mehr sein.
Die Hemmungen hat er ihr genommen. „Und er ist einfach lieb und nett. Er ist nicht fordernd. Er schimpft nicht.“ Sie sei eine „ganz einfache Frau vom Land“, war nirgendwo. „Aber er ist ein Bayer. Und war Fotograf.“ Das fand sie sehr interessant. Kurzum: „Was Besseres hätte mir nicht passieren können.“
Auch wenn der offizielle Umzug erst im Sommer ist. Sie schwärmt: „Wir haben einen riesengroßen Garten und wenn schönes Wetter ist, können wir die Alpen sehen! Im Wohnzimmer, schon zum Frühstück. Ich liebe das so bei ihm und sage ständig: Ich habe das Paradies auf Erden.“
Dort wollen sie so lange leben, wie ihr Partner noch Auto fahren kann. Dann geht’s ins Seniorenheim. Einen gemeinsamen Platz haben sie sich schon reserviert. Romantik im Alter. Doch das kann dauern. Denn ihr Hormoncocktail und das Tanzen halten jung. „Je nachdem, welche Musik kommt, kann es passieren, dass wir nachts um zwölf Uhr schnell einen Tanz machen – Discofox, Rumba, Cha Cha Cha …“ Sie lacht wieder. „Uns zwei geht’s so gut. Und manchmal haben wir fast Angst, weil es uns so gut geht.“ □