Die jungen Leute unterhalten sich nur leise und warten gespannt auf den Beginn. Es geht um „Sünde“. Moderator Hanns Wolfberger spricht von einem alltäglichen Begriff. „Und deshalb sind auch die Medien voll davon“, stellt er fest. Ein kurzer Einspieler zeigt die Facetten: vom Schlager wie „Kann denn Liebe Sünde sein“ bis zu sündigen Dessous, von Bau- und Dopingsünden bis zur Rentensünde. So oberflächlich soll es aber nicht bleiben. Es geht um die tiefere Bedeutung des Wortes. Hier ist die Mitarbeit der Zuschauer gefragt: Wolfberger fordert sie auf, Sünde mit einem Wort zu umschreiben. Auch in der Haller Runde kommen nach kurzem Überlegen die Handys zum Einsatz. Nach wenigen Sekunden erreichen die ersten Antworten das Studio in Tübingen. Im Nu füllt sich der Bildschirm mit Synonymen. Je öfter ein Begriff fällt, desto größer erscheint er.
Sünde, was bedeutet das? (Foto: Sigrid Bauer)
Nach rund zwei Minuten sind fast 350 Meldungen eingegangen. Die ersten sind Trennung, Fehler und Zielverfehlung, ein theologischer Begriff mit zentraler Bedeutung, wie der Moderator betont. „Wir sind nicht der Mensch, der wir eigentlich sein wollen“, erklärt er den Sinn und gibt ein Beispiel: die Kluft zwischen dem Anspruch und dem Verhalten von Verbrauchern. Laut einer Umfrage befürworten sie zur Hälfte bessere Haltungsformen für Nutztiere und würden dafür mehr Geld ausgeben, aber tatsächlich kauft nur ein Prozent regelmäßig solche Produkte.
„Es gibt also, krass formuliert, einen Abgrund zwischen dem, wie wir sein wollen und dem, wie wir tatsächlich leben“, sagt Wolfberger. Er zitiert aus Paulus‘ Römerbrief 7,19 und 20: „Denn das Gute, das ich will, tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Und zwar durch die Sünde, die in uns wohnt, durch die existenzielle Sünde, die uns seit der Geburt umgibt. „Die sündigen Taten des täglichen Leben sind die Folgen dieser Sünde“, sagt er.
Videoclip aus dem Leben eines Sünders
Der Clip „Ein Tag im Leben eines Sünders“ demonstriert überspitzt, wie schnell unser Sündenkonto wächst: Gunnar ist ein Morgenmuffel und ärgert sich über schreiende Kinder der Nachbarn, brummelt seine Frau an, lässt überall das Licht an, wirft sein halbes Frühstück in den Abfall, fährt statt mit dem Rad mit dem Auto und flucht ständig. Im Büro, wo er seit Jahren immer das Gleiche zu tun hat, sammelt er viele Sündenstriche. „Er macht sich mit seinem umweltschädlichen Verhalten schuldig an der Schöpfung, mit seinen abfälligen Bemerkungen an seinen Mitmenschen, aber auch an sich selbst, weil er seine Bestimmung verpasst, ein erfülltes Leben zu führen. Auch gegenüber Gott wird er schuldig, er verschwendet keinen Gedanken an ihn, der ihm alles geschenkt hat“, analysiert Wolfberger.
Mit einem Quiz zum Thema Sünde lockern die Macher der Sendung die Stimmung auf. Die Gruppe in Hall lässt sich darauf ein, alle zücken wieder ihr Handy. Zehn Sekunden gibt es pro Frage, um unter fünf Antworten die richtige zu finden. Zum Beispiel: Wie oft wurde das Wort Sünde 2019 im Schnitt täglich in Wikipedia aufgerufen? 152-mal. Oder woher kommt das Wort Sünde? Aus dem Germanischen – „großer Spalt“.
Zum Abschluss des Liveformats sollen die Teilnehmer ihre Fragen zum Thema Sünde stellen. Im Studio werden die diskutiert, für die sich die meisten interessieren, aber sie sollen auch in den Gruppen für Meinungsaustausch sorgen.
Nach oben hat es diese Frage geschafft: „Wenn alle Sünden gleich sind, warum sind Christen so sehr auf sexuelle Sünden fixiert?“ „Weil es vielleicht am allerwenigsten ins Bild der Kirche passt?“ meint eine junge Frau. „Sexuelle Sünden haben viel Aufmerksamkeit in der Gesellschaft. Man redet darüber, weil man normalerweise nicht darüber redet“, sagt jemand. Später äußert sich der Moderator dazu und widerspricht, dass alle Sünden gleich sind. Es gehe aber heute ganz grundsätzlich um Sünde und nicht um eine Reihenfolge von Sünden.
Die Gruppe im Brenzhaus hat es sich gemütlich gemacht. Das Notebook ist an die Leinwand angeschlossen ‒ so können alle gut sehen. (Foto: Sigrid Bauer)
Interessant findet die Haller Gruppe auch die Frage, warum Gott Adam und Eva die Möglichkeit zu sündigen gegeben hat. Denn ohne Möglichkeit, keine Sünde. „Das gibt uns die Freiheit zu entscheiden“, antwortet ein Mädchen. „Es ist ein bisschen wie Erziehung: Ich würde es so machen, aber du kannst es so machen, wie du willst“, präzisiert eine andere.
Die Frage, wer die Sünde definiert, sorgt für Gesprächsstoff. Die „Sünden“ aus dem überzeichneten Clip (etwa Licht an in drei Räumen) findet ein Mädchen „extrem kleinlich“. Ein junger Mann unterstützt sie: „Also los, Strom sparen! Macht das Licht aus!“, ruft er und alle lachen. „Was dürfen wir dann überhaupt noch?“, fragt einer und alle reden durcheinander über CO2-Austoß und andere Klimasünden“. In Verbindung mit einer weiteren Frage, ob unbewusste Zielverfehlung auch Sünde sei, kommen sie zu dem Schluss, dass es eher Sünde sei, sich keine Gedanken etwa über Stromverbrauch zu machen. Auch über die Sündenstriche der Hauptfigur Gunnar aus dem Clip durch die Arbeit denken sie nach. Es geht wohl darum, dass ihn die Arbeit nicht zufriedenstellt und er nicht mit dem Herzen dabei ist, wie es Lea Schumacher ausdrückt. Um kurz vor Acht bedankt sie sich bei allen Teilnehmern und verabschiedet sie lachend mit dem Worten: „Und sündigt nicht so viel!“
◼ Die weiteren Livestreams in diesem Jahr behandelten die Begriffe „Segen“ und „Seele“. Aufzeichnungen sind abrufbar auf: www.theo-livestream.de