Diesem Geist der wohlkalkulierten Mutlosigkeit, die nur das für „angemessen“ erklärt, was auch Wählerstimmen bringt und das eigene Wohlergehen sichert, sollten wir im Namen des Heiligen Geistes mit aller Kraft entgegentreten. Wer diesen Geist und sein Wirken nicht verspotten möchte, der muss mit seinem Wirken rechnen und damit, dass wir mit seiner Kraft überwältigend positive Wirkungen erzeugen können. Sicher nicht für jeden Zweck, aber immer dann, wenn wir nicht nur um unser eigenes Wohlergehen kreisen, sondern fremdes Leben und die Schöpfung retten wollen.
Kaum jemand hat diesen „roten Faden“ des geistlichen Handelns besser beschrieben und biblisch nachverfolgt als der systematische Theologe Michael Welker. In einem Nachtschicht-Gottesdienst in Stuttgart sagte er: „Wir leben auf Kosten von anderem Leben. Aber die Kräfte des Heiligen Geistes setzen auf eine wunderbare Gegenbewegung. Wir nehmen uns in der Liebe und in der Vergebung schöpferisch zugunsten der Mitmenschen zurück. Wir setzen uns nicht durch, sondern wir bereiten anderen Freude, stellen ihre Füße auf weiten Raum, hoffen, dass sie sich positiv entwickeln. Diese freie, schöpferische Selbstzurücknahme, damit andere sich entfalten können – das ist eine ganz große göttliche Gabe und Kraft.“
Diese Gabe und Kraft feiern wir an Pfingsten. Sie hilft uns auf mitreißende Weise, die eigenen Interessen zugunsten anderer zurückzunehmen. Dafür brauchen wir all unseren Mut im Angesicht der globalen Bedrohungen: Wir können und müssen den persönlichen Konsum einschränken, um den Anstieg der Temperaturen in erträglichen Grenzen zu halten. Wir können und müssen auf persönliche Begegnungsmöglichkeiten verzichten, wenn wir Leben retten wollen.
Nur Mut - Öl der Freude statt Trauerkleid
Dabei können wir seit Pfingsten mit der gleichen, fröhlichen Zuversicht auf die Unterstützung des Heiligen Geistes vertrauen, wie es Jesus in seiner „Antrittspredigt“ tat (Lukas 4). Er bezog dabei die Worte des Propheten Jesaja (Kapitel 61) auf sich persönlich: „Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Gedemütigten eine frohe Botschaft zu verkünden, zu verbinden, die gebrochenen Herzens sind, auszurufen den Gefangenen die Freilassung und den Gebundenen die Öffnung. Auszurufen ein Jahr des Wohlgefallens des Herrn und ein Tag der Vergeltung unseres Gottes, zu trösten alle Trauernden. Ihnen Schmuck statt Schmutz zu geben, Öl der Freude statt Trauerkleid, Lobgesang statt eines betrübten Geistes, dass sie genannt werden Bäume der Gerechtigkeit, eine Pflanzung des Herrn zur Verherrlichung. (…) Ich freue mich von Herzen im Herrn und meine Seele jubelt in meinem Gott!“
Da steht der Prophet im zerstörten Jerusalem, feiert mit seiner Gemeinde einen „Gottesdienst auf Trümmern“, bei dem vielen eher zum Heulen zu Mute ist, wie so manchen bei den nun stattfindenden „Distanz-Gottesdiensten“. Doch Gott legt seinen Geist auf ihn, um diesen Gedemütigten eine frohe Botschaft zu verkünden: „Gott will sein Volk trösten, es von allen Fesseln befreien. Gott selbst sorgt nun für sie. Er schmückt die Betrübten.“ So können auch wir heute trotz aller erschütternden Zahlen und Messwerten eine neue Zeit ansagen. Wir können mit Gottes Geist Gerechtigkeit und Feierstimmung ausbreiten, ohne dabei andere zurückzulassen oder zu vergessen. Oder wie Zwingli sagen würde: „Du bist Gottes Werkzeug. Er verlangt Deinen Dienst, nicht Deine Ruhe. Tu um Gottes Willen etwas Tapferes!“
Wenn wir Christenmenschen solche Botschaften senden würden – in den Kirchen und vor den Mikrofonen, in den Kollegien und Freundeskreisen – wären wir der Lösung der Krisen schon ein großes Stück näher. So, wie wir es in Jesaja 61 gelesen haben: Nachdem der Prophet seine Vision geschildert hat, geschieht das Wunder: Gottes Geist wirkt, was er verheißt. Wir werden Ohrenzeugen eines ungeheuren Ereignisses: Auf den Trümmern ihrer Stadt und ihrer Hoffnungen nehmen die Menschen jubelnd vorweg, was ihnen verheißen wurde: „Ich freue mich von Herzen im Herrn und meine Seele jubelt in meinem Gott!“ So antwortet die Gemeinde auf die Worte des Propheten.
Da stehen wir nun im Angesicht der aktuellen Krisen. Viele bewundern die Tapferkeit des medizinischen Personals. Nur wenige fordern mehr Mut im Blick auf die Rettung von Menschenleben an unseren Grenzen und in ärmeren Ländern. Doch Gottes Geist wirkt auch heute noch Wunder. Wo wir uns seinem Wirken öffnen, da entsteht ein überraschendes und überragendes Kraftfeld. In diesem Kraftfeld kann das alles entscheidende Wunder geschehen: Wir verändern uns. Wir bekommen die Kraft und den Mut, nicht nur unsere eigenen Interessen durchsetzen zu müssen, sondern sie auch zurückzustellen, wenn dadurch „die Gebundenen“ freier werden.
Aber Gottes Geist wirkt nicht automatisch und in „unbestimmter Weise überall“, wie Michael Welker in seinem Buch über „Gottes Geist“ schreibt. Nein, Gott kann seinen Geist auch „zurücknehmen und das Angesicht abwenden“. Zum Beispiel, wenn eine bestimmte Bevölkerungsgruppe oder Nation sich selbst und ihre Überzeugungen und Interessen verabsolutiert. „Leben schaffend und Gerechtigkeit wirkend ist der Geist gegenwärtig. Aber durch Falschheit und Ungerechtigkeit können Menschen den Geist Gottes betrüben und verscheuchen“, schreibt Welker. Wir haben also einen überraschend großen Einfluss auf die Wirkung des Heiligen Geistes.
Nur Mut - Gottes Geist wirkt Wunder
Wo nur das eigene Wohl gesehen wird, da ist Pfingsten schnell am Ende. Wo wir sagen: „Wir lassen niemand zurück!“, wo wir gemeinsam handeln, damit Menschen oder Tiere nicht unter unwürdigen Umständen leben müssen, da geben wir Gottes Geist den nötigen und heilsamen Spielraum. Gottes Geist weht da, wo wir etwas Tapferes tun, weil wir wissen, dass Gott nur unsere Hände und Herzen hat. Das ist etwas ganz anderes als naive Blindheit nach dem Motto: „Wird schon nichts passieren! Hauptsache, die Wirtschaft läuft wieder.“
Wie selbstverständlich diese Tapferkeit klingen kann, hat uns der im April verstorbene Politiker Norbert Blüm (CDU) als Vermächtnis hinterlassen. Mit Blick auf die Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer sagte er: „Es geht darum, dass Menschen am Absaufen sind. Und wer am Absaufen ist, muss gerettet werden. Da gibt’s gar nicht viel zu diskutieren. Lebensrettung ist unsere Pflicht.“ Und im Blick auf die Situation der Menschen in den Flüchtlingslagern in Griechenland: „Europa, schäm dich!“ Was würde Blüm wohl seinem Parteikollegen aus Sachsen-Anhalt erwidern, wenn er Stahlknechts Rede hören würde?
Ich wünsche uns, dass wir Christen diese Selbstverständlichkeit mit pfingstlicher Freude und Gewissheit in alle Diskussionen einbringen. #LeaveNoOneBehind, das gilt für die Klimakrise und die Coronakrise. #LeaveNoOneBehind, das ist die pfingstliche Antwort auf alle Mutlosigkeit, die meint, nun müssen wir aber zuallererst nach uns selbst schauen, bevor wir anderen helfen können. Das Wichtigste ist unser Mut. Dank Gottes Geist können wir uns um andere kümmern. Dann werden wir spüren, wie er für uns einsteht mit all seiner grenzenlosen Kraft, Liebe und Besonnenheit. □