Aber wie setzt man solch hehre Ziele um? Zunächst einmal technisch: Indem die Technik schon von der Bedienbarkeit her auf ihre dienende Rolle gestutzt wurde. „Was nicht einfach geht, geht einfach nicht“, war die Devise. So flog die vielfach verwendete Plattform WebUntis nach einiger Zeit wieder raus: Sie hatte zwar viele Funktionen, war aber auch unübersichtlich.
Bei den Tablet-Computern entschied man sich für Apple. Nicht aus Prestigegründen, sagt Philipp Reitter: „Die iPads sind einfach im Betrieb am robustesten.“
In der siebten Klasse werden die Tablets an die Schüler gegeben. Sie zahlen dafür 225 Euro, die Hälfte der Anschaffungskosten. Diese Geräte behalten sie bis zum Schulende, in der Oberstufe dürfen sie auch eigene Geräte mitbringen.
Es wird nach oben hin gelockert – auch bei dem Zugang, den die Geräte bieten. Am Anfang wird ziemlich viel geblockt, anfangs darf nicht mal der Hintergrund geändert werden, später wird immer mehr den Schülern überlassen. „Es geht um Verantwortung und Vertrauen“, sagt Philipp Reitter: „Ein wichtiges Lernziel.“
Birgit Wahr, Schulleiterin der Kusterdinger Firstwald-Schule und Phillipp Reitter, Pädagoge. Foto: Wolfgang Albers
Denn natürlich wird thematisiert, dass solche Geräte auch verführen und ablenken. Aber das tun sie ja außerhalb der Schule ebenso. „Unsere Fünftklässler kommen mit dem Smartphone und dem Internet-Zugang an und haben gar keine Begleitung“, sagt Birgit Wahr, Schulleiterin der Kusterdinger Firstwald-Schule. „Wir müssen daher zwangsläufig mehr mit den Eltern in Kontakt sein, wo man sich über Regeln austauschen muss.“
Digitales Lernen sei ja umfassend: „Nur Surfen und googeln, das ist es nicht.“ Digitales Lernen bedeutet vor allem Kooperation und Kommunikation, wie im Unterricht von Philipp Reitter. Seine Schüler sollen gemeinsam Probleme bearbeiten und Lösungen präsentieren. Das Gerät verändert die Lernkultur, weil die Infos nicht mehr zwangsläufig vom Lehrer zu gleicher Zeit an alle kommen müssen.
Die Schüler müssen sich mehr selbst organisieren – und das erfordert vom Lehrer auch das Vertrauen, dass sie das tun. „Klar hängen da auch welche ab“, sagt Philipp Reitter. „Aber das haben sie vorher auch getan.“ Der Vorteil für ihn jetzt: Er hat die Zeit, sich intensiver mit denen zu beschäftigen, die nicht so wollen oder sich sonst schwer tun.
Das ist auch für Axel Wirsam ein großer Vorteil. Er ist Lehrer in vier Fächern, unterrichtet Deutsch und Religion und ist zusammen mit Philipp Reitter Kopf der Projektgruppe „Zeitgemäß Lernen“: „Ich kann viel besser eine Einzelbetreuung machen, das war früher nicht so möglich. Und ich kann viel besser dabei auf die Unterschiede der Schüler eingehen. Über das Tablet kann ich genauere Rückmeldungen geben.“ Alles Dinge, die im klassischen Unterricht eher wegfallen. Es braucht eigentlich nicht mal mehr das Klassenzimmer als Ort, findet Axel Wirsam: „Auch solche Strukturen kann man überdenken, wie wir sie seit 100 Jahren kennen.“
Reaktionen werden genauer
Natürlich: „Man muss auf die Schüler setzen, dass sie für sich Verantwortung übernehmen. Da ist die Schule in derselben Rolle wie das Elternhaus: Wir können nur Anregungen geben.“ Aber die kommen nach den Wahrnehmungen von Philipp Reitter an. Klassen mit 1:1-Ausstattung, wie das Wort Tablet-Klasse etwas umständlich umschrieben wird, seien viel selbständiger. „Ich bin oft regelrecht beglückt. Ich kam einmal zu spät, dachte, da ist Chaos im Raum. Aber die waren alle schon am Arbeiten. Die haben sich gar nicht um mich gekümmert. Ich führe oft online Diskussionen, die hätte ich mir früher im Unterricht gewünscht.“
Das wäre ein schöner Schluss-Satz, aber zwei Nachträge müssen noch sein. Erstens: Die digitale Ausstattung hat nicht zur Folge, dass der analoge Unterricht abgeschafft worden ist. In seinem Deutschunterricht legt Axel Wirsam Wert darauf, dass aus realen Büchern vorgelesen wird. Längere Texte müssen die Schüler auf Papier schreiben. Die Neigung zum digitalen Unterricht ist von Fach zu Fach unterschiedlich: „Nicht alle Kollegen haben sofort die Kreide fallen lassen.“
Zweitens: Die Firstwälder beanspruchen nicht, Schule neu erfunden zu haben. Es gibt Erfolge wie den, dass zu Corona-Zeiten schon eine eingespielte Struktur da war. Aber natürlich auch Konflikte. Einer entsteht mit übergeordneten Normen. Die Schule lotst ihre Schüler zu Selbständigkeit und Kooperation – und dann werfen Klausuren alles wieder auf den Einzelkämpfer zurück. Die Abi-Prüfungen erfordern pures Abspulen, und zwar allein. Da stellt der digitale Unterricht à la Firstwald schon einige kritische Anfragen. □