Viele kluge Geschichten
Ganz unterschiedliche Geschichten, wahre und erfundene, ziehen die die Aufmerksamkeit der Redaktion auf sich. Daraus ist eine sehr subjektive Auswahl von Buchempfehlungen geworden. Viel Spaß beim Lesen – und gegebenenfalls beim Verschenken des einen oder anderen Bandes.
Andreas Steidel: Das Ende des Speer-Mythos
Lange galt Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer als guter Nazi. Als einer der wenigen zeigte er beim Nürnberger Prozess Reue. Nach seiner Entlassung aus der Haft 1966 wurde er zu einem der gefragtesten Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts. Sein Tenor lautete dabei stets: Auschwitz war furchtbar, ich hätte wissen können, wenn ich hätte wissen wollen.
Heute weiß man: Speer hat davon gewusst, hat sogar Baupläne für Auschwitz unterschrieben. Der Historiker Magnus Brechtken vom Institut für Zeitgeschichte zeichnet minutiös die gesamte Geschichte Speers nach inklusive seiner Nachkriegskarriere als Bestsellerautor. Am Ende bleibt vom guten Nazi, vom verführten Künstler und Bürgersohn nicht mehr viel übrig.
Ein lesenswertes und entlarvendes Buch. Nicht zuletzt wird dabei auch die Rolle des Publizisten Joachim C. Fest beleuchtet, der Speer als Co-Autor zur Seite sprang und seine Aussagen ungeprüft weitergab. Brechtgen hingegen ging in die Archive und entlarvte die meisten seiner Aussagen als Lügen oder Schönfärberei. Andreas Steidel
Magnus Brechtken: Albert Speer. Eine deutsche Karriere, Siedler-Verlag 2017, 912 Seiten, 40 Euro. ISBN 978-3-827500-40-3.
Nicole Marten: Islamist wird ChristEs ist eine der klassischen „krassen“ Bekehrungsgeschichten: Ein fanatischer Anhänger des Islam bekehrt sich zum Christentum, wird deshalb von seiner Familie für tot erklärt und muss aus seiner Heimat Nordsudan fliehen. Was Yassir Eric erzählt, geht weit über das hinaus, was ein Bekehrungserlebnis vom Saulus zum Paulus ausmacht. Eric gibt nicht nur einen detaillierten Einblick in sein Leben, sondern vor allem in die Denkweise von Islamisten. Er setzt sich in Deutschland für echte Begegnungen zwischen Christen und Muslimen ein – und für eine offene Diskussion über den Islam – auch unter Muslimen. Nicole Marten
Yassir Eric: Hass gelernt, Liebe erfahren. Vom Islamisten zum Brückenbauer, Adeo-Verlag 2017, 224 Seiten, 18 Euro. ISBN 978-3-86334-177-0.
Franciska Bohl: Poetische LebensweisheitenWorauf kommt es im Leben wirklich an? Wer 102 Jahre alt ist, hat eine andere Sicht auf die Dinge. Wie spannend diese Ansichten sein können, davon erzählt dieses zauberhafte poetische Buch. Über mehrere Monate hinweg hat der Aktionskünstler und Kulturmanager André Heller Gespräche mit seiner Mutter aufgezeichnet. Herausgekommen ist ein philosophisches Buch voller Humor und vielen Weisheiten. Die alte Dame, die geboren wurde, als der Erste Weltkrieg ausbrach, erzählt nicht nur von berührenden Momenten aus ihrem Leben, sondern imponiert auch durch ihre unsentimentale, klare Sicht auf große Themen. Beeindruckend ist zudem, wie sie trotz ihres hohen Alters im Laufe der vertrauensvollen Gespräche noch eine erstaunliche persönliche Entwicklung durchläuft. Ein Buch mit vielen Geschichten – und voller überraschender Einsichten. Franciska Bohl
André Heller: Uhren gibt es nicht mehr. Gespräche mit meiner Mutter in ihrem 102. Lebensjahr, Paul Zsolnay Verlag 2017, 112 Seiten, 18 Euro. ISBN 978-3-552-05831-6.
Dorothea Schöpfer: Die Welt im Dorf gespiegeltImmer, wenn die alte Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand. Jetzt ist Selma dieses Tier wieder erschienen und viele in dem Dorf im Westerwald denken darüber nach, ob sie nicht besser aussprechen, was ihnen schon seit Jahrzehnten auf dem Herzen liegt. Morgen könnte es zu spät dafür sein. Ein Okapi als Todesbote, das klingt seltsam. Ebenso eigenwillig ist auch das Personal, das diesen Provinzroman bevölkert. Da gibt es den Optiker, der sein Leben lang Selma liebt, was alle wissen. Nur er denkt, es wäre ein Geheimnis. Die Ich-Erzählerin ist eine junge Frau, die sich vornimmt, dem Leben weniger besorgt und mit einer neuen Hose entgegenzutreten. Der alte Bauer wäre froh, hätte Okapi ihn gemeint: „Er war sicher, dass der Tod ihm das Leben nicht entreißen, sondern behutsam aus der Hand nehmen würde.“ Im Roman, der die Welt in einem Dorf spiegelt, geht es um das Lieben, das Sterben und das, was man nie im richtigen Moment sagen kann. Ein Buch ganz ohne Pathos, dafür mit feinem Humor.
Dorothee Schöpfer
Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann. Dumont Verlag 2017, 320 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-8321-9839-8.
Petra Ziegler: Eine mutige ProtestantinElisabeth Schmitz (1893–1977) gehört zu den ersten Frauen, die in Deutschland studieren dürfen. In Geschichte promoviert sie, an Mädchengymnasien unterrichtet sie unter anderem auch Religion. Interessant macht die Studienrätin, die in Hanau geboren wurde, dass sie schon früh die Diskriminierung und später die Verfolgung der Juden anprangerte. Erst um die Jahrtausendwende wurde bekannt, dass die Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ (1935/36) von Elisabeth Schmitz geschrieben wurde. Ihr Leben hat die Pfarrerin Sibylle Biermann-Rau recherchiert und die Ergebnisse in dem vorliegenden Buch zusammengetragen. Das Spannende daran ist, dass die Autorin das Leben von Elisabeth Schmitz nicht nur beschreibt, sondern auch Briefe und Dokumente veröffentlicht, so dass sich der Leser selbst ein Bild von der aufrichtigen Protestantin machen kann. Petra Ziegler
Sibylle Biermann-Rau: Elisabeth Schmitz. Wie sich die Protestantin für Juden einsetzte, als ihre Kirche schwieg. Kreuz Verlag 2017, 144 Seiten, 16,99 Euro. ISBN 978-3-946905-04-2.
Andreas Schweda: Der Seele trauenEs scheint ein ganz normales Café zu sein. Irgendwo am Rande der Stadt. Aber eigentlich am Rande der Welt. Und zwar an der Welt, in der die Besucher dieses Cafés selbst leben. Denn in dieses Restaurant gerät niemand zufällig. Es ist ein Ort, der verändert. Ein Ort, in dem die Gäste mit den Fragen ihres Lebens konfrontiert werden. Zum Beispiel: Warum bist du hier? Und damit ist nicht gemeint: Was willst du bestellen, sondern: Warum bist du auf der Welt? Der Erzähler John hat im Vorgänger-Buch „Das Café am Rande der Welt“ über seinen Lebenssinn nachgedacht und sein Leben verändert. Jetzt besucht er das Café erneut, berichtet den Gästen von seiner Erfahrung und hilft ihnen, ihren Lebenssinn zu finden. Das Buch ist eine indirekte Anleitung, Kontakt zu einem übergeordneten Sinn aufzunehmen, den man getrost Gott nennen kann. Es ist eine Anleitung, seiner Seele zu trauen. Alexander Schweda
John Strelecky: Wiedersehen im Café am Rande der Welt. Eine inspirierende Reise zum eigenen Selbst. dtv 2017, 283 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-423-34896-6.
Bücher unserer Redakteure:
Petra Ziegler: Überzeugt im Glauben, kraftvoll im Handeln, Epub, 128 S., 7,99 €
Alexander Schweda, Mann, Papa! Wie läuft's?, broschiert, 144 S. (illustriert), 14,95 €
Franciska Bohl und Andreas Steidel: Alles hat (k)eine Zeit?, broschiert, 144 S (illustriert), 14,95 €