» Anlage und Umwelt sind bedeutsam«
Es gab in den 1960er-Jahren die Auffassung, die Umwelt wirke sich mehr auf den Menschen aus als die Gene. Die Schule könnte also theoretisch alles aus einem Menschen heraus kitzeln …
Rainer Riemann: Es gab immer wieder solche Strömungen. Der englische Philosoph John Locke war im 17. Jahrhundert der Ansicht, der Mensch komme als Tabula rasa auf die Welt – also sozusagen als unbeschriebenes Blatt. Ähnlich dachte der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau. Heute wissen wir: Es gibt bedeutsame genetische Unterschiede. Aber auch kein psychologisches Merkmal, das ausschließlich durch Gene bedient wird. Anlage und Umwelt sind beide dafür bedeutsam.
Werden bestimmte Veranlagungen erst durch die Umwelt geweckt?
Rainer Riemann: Wir stellen fest, dass Menschen mit bestimmten Anlagen auch in bestimmte Umwelten hinein geboren werden: Wenn jemand musikalische Eltern hat, erbt er mit höherer Wahrscheinlichkeit ein musikalisches Talent. Er kommt aber zugleich möglicherweise in ein Elternhaus, in dem Musik eine größere Rolle spielt. Das Beispiel lässt sich auf Sport übertragen, auf sprachliche Entwicklung … Das Gute ist, wir leben heute in Deutschland in einer Umwelt, die vielfältige Möglichkeiten bereitstellt. □
Zur Person
Rainer Riemann ist einer der berühmtesten Zwillingsforscher Deutschlands. Er arbeitete an vier großen Zwillingsstudien mit und forschte bis vor kurzem noch an der Universität Bielefeld. Jetzt ist er im Ruhestand.