Ihre sozialen Beziehungen empfinden sie als unzureichend, ein richtiges Zugehörigkeitsgefühl zu einer gesellschaftlichen Gruppe stellt sich nicht ein. Je älter die Menschen werden, desto eher nimmt das Gefühl der Einsamkeit zunächst ab, bevor es später wieder ansteigt, wenn der Lebenspartner oder die ersten Freunde sterben. Ähnliches bestätigt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum.
Ein Ministerium gegen die Einsamkeit
Die Wissenschaftler rund um die Psychologin Maike Luhmann befragten im Rahmen des jährlich erscheinenden sozio-ökonomischen Panels über 12 000 Privathaushalte in Deutschland und kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass jüngere Erwachsene und alte Menschen ab 85 mit knapp 15 Prozent überdurchschnittlich häufig von Einsamkeit betroffen sind. Luhmann und ihre Kollegen befanden, dass Einsamkeit auch ursächlich für viele Krankheiten wie etwa Depression sein könne. Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer geht sogar noch einen Schritt weiter. In seinem Buch „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“ schreibt er, dass Einsamkeit „die Todesursache Nummer eins in den westlichen Ländern“ sei. Das chronische Gefühl des Verlassenseins könne vor allem die Risikofaktoren für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung begünstigen, aber auch einfache Infekte wahrscheinlicher machen. Für diese Thesen wurde Manfred Spitzer heftig kritisiert.
Fest steht jedoch: Menschen sind soziale Wesen. Sie brauchen das Gegenüber, den Ansprechpartner, das Korrektiv, um erfüllt und produktiv zu sein. Einsamkeit tut auf Dauer keinem gut.
In Großbritannien hat man sich des Problems von politischer Seite angenommen. Die Inselbewohner haben inzwischen eine „Ministerin gegen Einsamkeit“. Tracey Crouch kümmert sich um all diejenigen im Königreich, die das Gefühl haben, nirgendwo so richtig dazuzugehören: Das ist immerhin jeder siebte Brite.
Auch in Deutschland fordern inzwischen viele die Politiker zum Handeln auf. Diakoniepräsident Ulrich Lilie sagt, der Staat könne nur die entsprechenden Räume schaffen, ausfüllen müssten diese die Bevölkerung. Etwa mit lokalen Bündnissen um Kirchengemeinden oder Sportvereine herum. Die Evangelische Gesellschaft in Stuttgart hat das Thema Einsamkeit seit zwei Jahrzehnten auf der Agenda. 1999 wurde der Besuchsdienst „Vierte Lebensphase“ gegründet, bei dem Ehrenamtliche regelmäßig an zwei Stunden in der Woche einen Menschen besuchen, der von Einsamkeit betroffen ist. Rund 250 Ehrenamtliche sind im Einsatz, die auch die Treffen zu schätzen wissen, bei denen es um Austausch und Wissen zu Gesprächsführung und zu den Grenzen des eigenen Engagements geht. Fachkräfte kümmern sich um die Vermittlung und bemühen sich, dass Besuchte und Besucher auch zueinander passen. Meistens klappt das gut.
Der Soziologe Janosch Schobin von der Uni Kassel hat kürzlich bei einem Vortrag vor diesen Ehrenamtlichen Einblicke in Kulturen gegeben, in denen Einsamkeit anders bewertet wird. Schobin hat Studien und Statistisken aus 30 Ländern ausgewertet.
In Chile werden auch die positiven Seiten der Einsamkeit gesehen.
Foto: qayyaq/pixelio
In osteuropäischen Ländern wie Polen und der Ukraine spiele die soziale Isolation im Alter eine viel größere Rolle als in Deutschland – die Auflösung traditioneller Familienverbände treffe die älteren Menschen dort härter. Bei Interviews in Chile hat Schobin dagegen erfahren, dass Einsamkeit nicht nur negativ erlebt, sondern als zeitlich begrenzte Episode auf dem Lebensweg betrachtet wird. „Die Einsamkeit zeigt sich, um dich neu zu erfinden“, „einsam kann auch eine Blume in der Wüste sein“, „Einsamkeit kann einen stärken“, so die Aussagen der Befragten. Dass Einsamkeit in Deutschland als Epidemie wahrgenommen wird, hänge damit zusammen, dass unsere Gesellschaft immer älter wird – und das Gefühl des Alleinseins bei über 70-Jährigen zunehme.
„Wir leben in Sorge vor der Vereinsamung“, sagt Janosch Schobin. Dabei, so urteilt er, werde hier im europäischen Vergleich viel getan, um Einsamkeit im Alter zu lindern.
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