Die Antwort war relativ schnell gefunden: Gestresste Menschen, Männer und Frauen in den unterschiedlichsten Lebenskrisen, könnten doch hier Raum und Zeit zum Innehalten finden, einfach eine Auszeit vom Alltag nehmen. Bereits vor dem Mutter-Kind-Projekt war dieses Angebot überlegt worden. Jetzt schien die Zeit gekommen, es in die Tat umzusetzen, wie Diakon und Supervisor Siegfried Hornung und die gelernte Krankenschwester Maike Witte beim Besuch in dem stattlichen Haus erklären. Sie verantworten die interreligiöse Auszeit, die es sowohl als offenes als auch begleitetes Angebot gibt.
Zur Ruhe kommen im Dornbusch-Hof
Vor allem die als „Wüstentage“ bezeichnete begleitete Auszeit erfordert von Hornung und Witte viel Präsenz, Einfühlungsvermögen sowie geistliche und psychologische Kompetenz. Denn die Menschen, für die sie ihr Haus öffnen, kommen in der Regel nicht als unbeschwerte Feriengäste. Angesprochen fühlen sollen sich laut Hornung vor allem Personen, die sich in ihrem Alltag gehetzt fühlen, die die Prioritäten im eigenen Leben nicht mehr klar erkennen können, die einschneidende Erlebnisse noch nicht wirklich verarbeitet haben oder einen neuen Anfang suchen. Vor allem aber gehe es darum, wieder abschalten zu lernen, was in Zeiten der Reizüberflutung, wo das Smartphone nie schweige und jeder jederzeit erreichbar sei, immer weniger zu gelingen scheint.
„Im Alltag sind wir oft umstellt von Wortlärm und Wortgerümpel. Da tun Stille und Schweigen gut“, heißt es im Wüstentage-Begleitheft. Dort findet sich auch die Erklärung zu dem Bonhoeffer-Zitat: Im Alleinsein stärken sich jene Fähigkeiten, die mitmenschliche Begegnungen gelingen lassen. Dazu zählen Freude, Verständnis, Zuhörenkönnen, Gelassenheit und Engagement. So ist dieses Aushalten der Stille und die Wahrnehmung von sich selbst mit Leib, Geist und Seele eines der Ziele der Auszeit in Zollenreute. Um dieses zu erreichen oder sich ihm immerhin anzunähern, gibt es einen klar strukturierten Tagesablauf.
Frankziskanische Spiritualität im Dornbusch-Hof
So startet der Tag um 8.15 Uhr mit einem Vaterunser und einer meditativen Einstimmung. Darauf folgen 20 Minuten Sitzen in der Stille. Entweder auf einem Gebetsschemel, einem Kissen oder auch auf einem Stuhl, wenn die körperlichen Voraussetzungen dies erfordern. In dieser Ruhe mit Blick auf eine Ikone der Dreieinigkeit in der gestalteten Mitte „fühlen unsere Gäste Regungen, die im Alltag sonst überdeckt sind. Sie können so die Gegenwart Gottes in sich spüren“, sagt Diakon Hornung. Das Ende der Meditationsrunde bildet immer das Friedensgebet von Franz von Assisi:
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage,
wo Irrtum ist …
Die franziskanische Spiritualität ist in diesem Haus der ökumenisch-christlichen Dornbusch-Gemeinschaft von großer Bedeutung. Diakon Hornung bewundert die große Offenheit und Weite des Ordensgründers. So gehe es im Dornbusch-Haus auch keineswegs um Missionierung oder Bekehrung. Wichtig sei vor allem, dass man sich in Liebe begegnet, dass man auch Liebe zu sich selbst entwickelt genauso wie zu den Armen, zu der Natur, zur Schöpfung. Hornung: „Es geht hier nicht um die Vorstellungen der Veranstalter. Es geht darum, dass unsere Gäste lernen, Ja zu sich selbst zu sagen, ihr eigenes Leben zu entdecken und nicht permanent den Vorstellungen und Ansprüchen anderer hinterherzulaufen.“
Noch einmal Franziskus:
Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Ab 9.30 Uhr folgen dann Gruppengespräche mit dem Austausch an Lebenserfahrungen sowie Gruppentherapien. Wichtiges Ziel ist es dabei laut Hornung, sich gegenseitig wahrzunehmen, aber nicht zu bewerten. Das erfordere durchaus einen gewissen Lernprozess, denn im Alltag habe man sehr schnell ein Urteil über andere parat. Die Themen für die Gespräche liefern die Teilnehmer selbst, Hornung wiederum versucht sie zu gestalten. Da kann es etwa sein, dass er einen Bibeltext präsentiert und in die Runde fragt, wie sich diese Stelle mit ihrem Leben verbindet. Nachmittags haben die Teilnehmer dann Zeit, die Erfahrungen des Vormittags zu verarbeiten und die Umgebung zu erkunden.
Der Wüstentag im Dornbusch-Hof
Höhepunkt der Auszeit ist dann der Wüstentag. Dabei bekommen die Gäste eine Flasche Wasser, eine Landkarte und ein Heft ins Gepäck. Vom Dornbusch-Haus aus machen sie sich dann auf in die Natur. Jeder für sich allein, begleitet und angeleitet nur von den Impulsen aus dem Heft. Diese handeln vom Reden und Schweigen, vom Alleinsein und von der Gemeinschaft, vom Zweifeln und Glauben, vom Wahrnehmen und Loslassen, vom Frausein und Mannsein und von der Arbeit und der Erholung. Zu jedem Kapitel werden Fragen gestellt und weitere Vorschläge zum Gehen, Ausruhen oder Meditieren geliefert.
„Jesus hat ein Herz für Suchende und Zweifelnde, nicht nur für die Braven.“ Mit dieser Zusicherung kann man dann auch diesen Wüstentag mit all seinen Fragen, Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen in der Stille der Natur gestärkt erleben. Nach den Beobachtungen von Hornung ist gerade diese intensive Beschäftigung mit sich selbst für viele Teilnehmer besonders erkenntnisreich. „Da können sie dann Fragen zulassen, die sie schon lange beschäftigt haben.“ Und im Idealfall darauf Antworten finden.