Nun stehen die Zeichen wieder auf Start. „Ein Pilger im Homeoffice, das funktioniert einfach nicht“, scherzt Jürgen Rist zu Beginn. Rist ist Pilgerbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Seine Projektstelle wurde erst kürzlich von der Synode entfristet, weil längst auch Evangelische in großer Zahl auf Pilgerwegen unterwegs sind.
Pilgerwanderung - Eine Flöte durchbricht die Stille
Wolfgang Heinz zum Beispiel, der jährlich mit Freunden in Frankreich auf dem Jakobsweg wandert. 150 Kilometer schaffen sie pro Jahr, doch dieses Jahr kam kein einziger dazu. Corona-Pause! „Das hier“, sagt er mit dem Pilgerstab in der Hand, „ist mein kleiner Ersatz.“ Neckarwiesen statt Kräuter der Provence: Noch nie war die Wertschätzung für die heimischen Gefilde so groß wie derzeit.
Insgesamt zwölf Menschen machen sich auf den Weg. Sie gehen von Horb über den Panoramaweg, beschattet von hohen Fichten und Buchen. Das Schweigen im Walde, beim Pilgern ist es Absicht, bis zur nächsten Lichtung hören alle auf zu reden. Dann ertönt leise eine Flöte. Pilgerbegleiterin Bärbel Kaufmann hat sie mitgebracht. Ihre Kollegin Claudia Gieseler-Christ lässt ein Gebet folgen.
Jakobsmuschel in Übergröße: Sie ist das Herzstück des „Weißen Gartens“ in Horb. Foto: Andreas Steidel
Immer wieder taucht nun eine Dorfkirche auf. Die nächste in Ihlingen ist Jakobus gewidmet. Ein malerischer alter Kirchhof umgibt sie, innen zieren Fresken aus dem Mittelalter die Wände. Die eigentliche Attraktion der alten Kirche ist jedoch jüngeren Datums: Der bekannte Malerpfarrer Sieger Köder schuf hier ein Pilgerwandgemälde sowie eine farbenfrohe Säulenkrippe. Nebenan gibt es eine Pilgerherberge, die auch den Namen Sieger Köder trägt.
Am Neckar entlang geht es nach Dettingen weiter. Dort treffen gleich mehrere Pilgerwege aufeinander: der Jakobsweg Neckar-Baar und jener, der von Rottenburg nach Tann ins Elsass führt. Das Netz der Pilgerrouten ist immer dichter geworden in den vergangenen Jahren, die Zahl der Zubringer nach Santiago de Compostela so hoch, dass man zuweilen den Überblick verliert.
Für den sind an diesem Tage die Pilgerbegleiterinnen zuständig. Zielsicher geleiten sie ihre Gruppe in den Schlossgarten von Dettingen. Mittagspause. Wer will, packt nun sein Vesper aus oder verköstigt sich beim Wirtshaus Adler: Im Corona-Jahr hat er fast den gesamten Schlosspark dazu gepachtet, der Biergarten kann unter den aktuellen Bedingungen nicht groß genug sein.
Entlang dem Pilgerweg - Glatt und sein altes Schloss
Rund 15 Kilometer ist die Tagesetappe lang. Für passionierte Pilger ein Klacks, für andere aber eben jene Menge, die man mit Genuss an einem Tag bewältigen kann. Monika Simmet aus Stuttgart geht seit Jahren sonntagspilgern und ist nun einfach froh, dass es wieder begonnen hat: „Ich habe schon mit den Hufen gescharrt“, sagt sie. Mit den Hufen scharren auch ein paar Kühe, die am Wegesrande grasen. Pilgern zwischen duftenden Kräutern und Kuhfladen, hohen Tannen und Radlern, die hier unweit auf dem Neckartalweg unterwegs sind.
Nach Dettingen verlässt die Pilgerroute für ein paar Kilometer den Neckar. Der Weg führt über Glatt hin zu jenem Wasserschloss, das heute Hundertschaften von Besuchern anlockt. Das liegt nicht nur an dem malerischen Ambiente, sondern auch an dem Kuchen, der hier im Schlosscafé serviert wird.
Die Pilger rasten am Brunnen vor dem Tore, hören noch einmal Worte, die von Weite und Fülle erzählen. „Einfach nur dasitzen, den Wind fühlen, die Luft riechen, den Atem spüren.“ Innerlich gestärkt geht es weiter, hoch zur letzten Etappe in Richtung Sulz, die steil über einen Berg führt. An einer Hütte halten alle noch einmal an, beten und singen: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“, ein Lied von Clemens Bittlinger und ein Satz aus Psalm 31, der wie geschaffen ist für die Pilger von heute.
Sie alle treffen gegen vier Uhr am Nachmittag glücklich und ein wenig erschöpft in Sulz am Neckar ein. Die Premiere ist geschafft, nun wird es hoffentlich gut weitergehen.
Kleine statt große Ziele: Jakobuskirche in Ihlingen, Pilger Wolfgang Heinz, der eigentlich nach Südfrankreich wollte. Fotos: Andreas Steidel
Pilgern am Sonntag ist ja keine Großveranstaltung, mit dem Trubel in der Gegend von Santiago de Compostela nicht vergleichbar. Der Mann mit dem Pilgerstab, Wolfgang Heinz, will eines Tages aber doch dort ankommen. Für manch anderen ist das aber gar nicht so wichtig. Sulz fängt ja auch mit S an sowie eine Vielzahl weiterer Ziele, die auf dem Weg zwischen Württemberg und Nordspanien liegen. □