Doch warum ist es für Renate M. wichtig, zu sagen: „Ich bin deutsche Sintiza“? Warum nicht einfach: „Ich bin Deutsche“? Schließlich leben ihre Vorfahren seit Jahrhunderten hier, sprechen den Dialekt ihrer Gegend, essen gerne Schwäbisch … „Ich habe sonst das Gefühl, meine Herkunft zu verleugnen. Das ist, wie wenn ein Italiener sagt: Ich bin Deutscher. Weil er hier geboren ist und einen deutschen Pass hat. Statt: Deutschitaliener.“ Sie sagt: „Deutsch ist meine Heimatsprache – Romanes meine Muttersprache.“
Die Familie von Renate M. konnte sich irgendwann ein eigenes Haus leisten: Die Mutter war Schrotthändlerin – „ein typischer Beruf in Sinti-Familien“ –, der Vater Angestellter einer Müllfirma. Renate M. absolvierte eine Ausbildung bei einem Rechtsanwalt. Heute geht sie viel in Schulen: Berührungsängste abbauen. Und denkt dabei an ihre Kinder. Sie sollen keine Diskriminierung erfahren. „Kürzlich aber fragte mein Sohn – wir schauten den mit Vorurteilen gespickten Film ,Der Glöckner von Notre-Dame’: Warum ist der Mann so böse zu der Zigeunerin? Ich dachte: Oh je, wie wird es sein, wenn er später erfährt, dass Zigeuner ins KZ mussten?“
Genau das hat Magdalena Guttenberger als 17-Jährige herausgefunden. Viele Jahrzehnte ist das her. Nachdem sie nachgefragt hatte bei Menschen, die ein „Z“ und eine Nummer auf ihrem Unterarm hatten. „Warum hast du mir das nie erzählt?“, fragte sie ihre Mutter. „Weil ich nicht wollte, dass auch Du für immer in Angst lebst.“
Sinti und Roma - Verhältnisse haben sich verbessert
In den 70er-Jahren begann Magdalena Guttenberger die Erzählungen ihrer Schwiegermutter Martha Guttenberger aufzuschreiben. Die musste in Auschwitz auf Sinti- und Roma-Kinder aufpassen, deren Eltern dort ermordet wurden. Nach und nach wurden die Kinder selbst umgebracht. Die Erzählungen der Schwiegermutter wurden nun als Buch veröffentlicht: „Die Kinder von Auschwitz singen so laut! Das erschütterte Leben der Sintiza Martha Guttenberger aus Ummenwinkel“.
Das Mahnmal für die deportierten und in Auschwitz ermordeten Sinti steht in Ravensburg vor der katholischen Kirche St. Jodok. Foto: pd
Magdalena Guttenberger wohnt noch immer in der Ravensburger Sinti-Siedlung und hat erlebt, wie es war, als es noch kein fließendes Wasser gab; in den 80er-Jahren dann endlich die neuen Häuser, mit einer Spielstube, wo sie als Erzieherin arbeitete. Sie selbst ist Romni, kam als Jugendliche aus der Slowakei. Ihr verstorbener Mann war Sinto.
Einmal sei einer ihrer drei Söhne – mit dunklerer Haut – von der Schule heimgekommen und habe erzählt: „Ich bin als Türke beschimpft worden.“ Sie habe sich gedacht: „Mein Gott, was sagst du dem Kind?“ Und ihn dann beruhigt: „Sei doch stolz darauf, für einen Türken gehalten zu werden, ist doch schön. Oder sag halt einfach, du bist Italiener.“ Sie sei aber froh gewesen, dass ihre Kinder auch viele Freunde aus der „Mehrheitsgesellschaft“ hatten, die oft zu Besuch waren. „Das war nicht mehr wie nach dem Krieg, als Sinti-Kinder Außenseiterkinder waren. Meine Söhne hatten ganz innige Freundschaften, die teils bis heute bestehen.“
Auch Magdalena Guttenberger, die sich im „Arbeitskreis Sinti/Roma und Kirchen in Baden-Württemberg“ engagiert, sprach in den vergangenen Jahrzehnten viel an Schulen. Das gab ihr immer Hoffnung, denn die Schüler waren interessiert, stellten zahlreiche Fragen. Inzwischen gibt es in Ravensburg auch ein Mahnmal für die umgebrachten Sinti und Roma.
Über ihre Vergangenheit mag Magdalena Guttenberger nun aber nicht mehr reden. Sie sagt mittlerweile lieber: „Ich bin deutsche Staatsbürgerin“, nicht Romni. □