„Hat jemand einen coolen Schritt dazu?“ fragt Chorleiter Pohlmann in die Runde der Frauen, Kinder und Männer, als nach dem Vorsingen und mehrfachen Wiederholen die Melodie im Wiedererkennbarkeitsgrad deutlich gestiegen ist. Amir hat eine Idee. Der 38-Jährige kommt aus Eritrea, singt später ein eritreisches Volkslied zum Nachsingen und ist als Mitglied des „Hope Nairobi Theater“ erfahren in Auftritten. Dass Arnd Pohlmann die arabischen Lieder mit dem Klavier begleitet, klingt für Amirs Ohren völlig fremd. „Wir haben die Krar“, erklärt er. Mit dem Saiteninstrument, das zu den Leiern gehört, begleitet sich ein eritreischer oder äthiopischer Sänger häufig selbst.
Für Amir, der als anerkannter Flüchtling Arbeit im Karrosseriebau hat, sind die deutschen Liedtexte schwierig. Zu Beginn der Probe hat Arnd Pohlmann „Es tönen die Lieder“ angestimmt. Die meisten nichtdeutschen Sängerinnen und Sänger beschränken sich auf „lalala“, auch wenn der Chorleiter immer wieder den Text vorspricht und nachsprechen lässt. Schließlich kommt doch ein zweistimmiger Kanon zustande. Pohlmann lobt, alle freuen sich, die Kinder klatschen begeistert.
Vorsprechen, nachsprechen, vorsingen, nachsingen: „Der One-World-Chor ist kein normaler Chor“, sagt der Musiker, der eigentlich als Kantor der Gesamtkirchengemeinde Neckarsulm arbeitet. „Zu uns darf jeder kommen und mitsingen, mal sind wir 20, mal sind wir 60, das ist eine echte Herausforderung“, so Pohlmann. Gesungen werde in der Regel einstimmig, auch die traditionellen arabischen Volkslieder seien eher für Solostimmen.
Wie unterschiedlich sich für den Chorleiter die Gewohnheiten anfühlen, macht er an einem fast banalen Beispiel deutlich. „Wenn ich deutschen Sängern nur ein Textblatt gebe, sind die ziemlich irritiert, die wollen immer Noten dazu, aber die Sänger hier aus dem arabischen Raum, aus der Türkei und Eritrea finden Chormappen sehr komisch“, sagt Arnd Pohlmann. Trotzdem werden jetzt Mappen ausgeteilt. Die helfen, aber sie stören auch. Wer kann schon eine Chormappe halten, singen, gleichzeitig klatschen und noch „einen coolen Schritt“ hinzufügen?
Jedes Chormitglied darf ein Lied vorschlagen. Ob es realisierbar ist, merken alle beim Proben. Jetzt also „Habibi“, ein arabisch-andalusisches Lied. Mit „babada“ und „leilei“ hat keiner Probleme, und die ziemlich melancholische Melodiefolge ist annäherungsweise zu stemmen. Aber dann geht’s los mit „Habibi ya nur el-ay-n yasa-kin khayali“, und schon wehren sich die europäisch geübten Sprechwerkzeuge. Wie vorher schon begleitet Barbara auf der Rahmentrommel, und nach und nach hört sich „Habibi“ wunderschön an. Ein Blick aufs Liedblatt offenbart, warum im Hals ein seltsames Gefühl auftaucht. „Mein Schatz, Licht meiner Augen, du lebst in meiner Fantasie, ich bewundere dich schon seit Jahren, niemand anders kommt mir in den Sinn“.
Es ist der Freundeskreis-Süd, der in der Flüchtlingsunterkunft Böblinger Straße für das Singen in dem Chor wirbt, den Leiter Pohlmann einen „Begegnungschor“ nennt. Es sind Menschen wie Barbara, eine ehemalige Familientherapeutin, die beim Percussionisten Christoph Haas das Trommeln gelernt hat und Menschen wie Christine, eine junge Redakteurin, denen das Leben der Neubürger überhaupt nicht gleichgültig ist. Für ein Willkommensfest im Alten Feuerwehrhaus wurde einst ein Projektchor gegründet, und dann wollten viele nicht mehr aufhören mit dem Singen. Ganz vorn in der ersten Reihe sitzen an diesem Tag Hawal (6) und Helin (4) und singen, klatschen und bewegen sich begeistert mit. „Ich möchte, dass meine Kinder in Deutschland ruhig aufwachsen und fröhlich sein dürfen“, sagt ihr kurdischer mitsingender Vater. Musik, die Kulturen verbindet, kann eine stabile Brücke sein. ¦
Telefon 0176-96871622