Mütter

75 Jahre Müttergenesungswerk

Seit 75 Jahren stärkt das Müttergenesungswerk Frauen, die familiär stark beansprucht werden. Warum das heute besonders wichtig ist, erklären Andrea Boyer und Diana Schrade-Geckeler. Von Antje Schmitz

Frau hat Kind auf dem Arm, das aus einer Flasche trinkt. Schwarz-weiß Foto
Unsplash/Nathan Dumlao

Andrea Boyer ist Geschäftsführerin der Evangelischen Müttergenesung Württemberg, Diana Schrade-Geckeler ihre Stellvertreterin. Die beiden haben lange Erfahrung gesammelt, was das Elternsein für Mütter bedeutet. Und wissen, warum es gerade für Frauen so schwer sein kann, mit ihrer Mütterrolle und den Erwartungen der Gesellschaft klarzukommen.

Zwei Frauen stehen vor einer Kirche
privat
Diana Schrade-Geckeler (links) und Andrea Boyer vor der Stuttgarter Hospitalkirche.

Was beschäftigt Mütter aktuell?

Diana Schrade-Geckeler: Ich selbst habe lange Jahre Mütter beraten und mir fällt auf, dass die Problemlage schon sehr komplex geworden ist.  Das ist eine Herausforderung in der Beratung und in den Kliniken. Die häufigste Diagnose ist das Erschöpfungssyndrom. Die Mütter sind einfach kraftlos und erschöpft. Das geht bis zu depressiven Verstimmungen, bis zum Burnout. Das ist oft schon so weit gediehen, dass man sich fragt: Reicht die Kur, reichen die Vorsorgemaßnahmen aus oder braucht’s vielleicht mehr? Diese Abklärung ist ganz wichtig. Was für eine Hilfe ist die richtige? Sind wir die richtigen? Es gibt einfach viele Begleitstörungen oder Erkrankungen. Dem muss man wirklich gut nachgehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Diana Schrade-Geckeler: Typisch sind Beschwerden im Magen-Darm-Bereich, im Rücken, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Sie gehen oft mit Depressionen einher. Das reicht von der Verstimmung bis zur depressiven Erkrankung. Dann müssen wir schauen, ob die Frau nicht besser in eine psychosomatische Klinik geht.

Was sind denn die Ursachen? Frau Boyer, Sie sagten ja, es geht schon mit jungen Müttern im Alter von 25 los.

Andrea Boyer: Die Bandbreite reicht von 25 bis 45 Jahren. Viele sind im mittleren Alter. Mit 30, 35, möchte man beruflich erfolgreich sein. Das ist mittlerweile bei den gut ausgebildeten jungen Frauen ein normales Phänomen, dass sie erwerbstätig sind, dann kommen die Kinder. Da gibt es die klassische Verteilung bei der Frage, wer das Kind betreut. Denn da ist der Gender Pay Gap: Die Männer verdienen in der Regel mehr als die Frauen. So bleibt die Frau erst einmal zu Hause, möchte dann aber rasch wieder arbeiten, was auch richtig ist, um zum Beispiel Rentenansprüche zu haben und beruflich Anschluss zu halten. Das wissen die jungen Mütter heute mehr als frühere Generationen.

So beginnt die Spirale der Doppel- und Dreifachbelastung. Die Frauen sagen: Ich muss eine gute Mutter sein, ich möchte gut arbeiten, ich muss vielleicht noch meine Eltern pflegen. Hinzu kommt der perfektionistische Anspruch, der über die sozialen Medien befeuert wird. Die Frauen wollen körperlich fit sein und gut dastehen.

Außerdem fehlt eine verlässliche Kinderbetreuung. Die Mütter werden alleingelassen mit ihren Ängsten. Das Kind ist krank, was mache ich denn jetzt? Zurzeit nimmt der Stress eher zu, als dass er nachlässt. Trotz der vielen Angebote, die es gibt. Und dann kommen die Mütter an den Punkt, dass sie sagen: Ich kann das gar nicht mehr alles miteinander vereinbaren.

Die ganze Struktur um die Eltern herum muss weiterentwickelt werden. Väter müssen beteiligt werden, wir brauchen eine gute Kinderbetreuung und die Einsicht, dass es normal ist,  Kinder zu haben. Das ist ja das Fundament einer Gesellschaft. Wir bieten den Müttern mit unseren Kuren kurzfristig eine Entlastung, möchten aber gleichzeitig, dass sie gar nicht erst in so eine Situation kommen.

Sie erwähnen die Kinderbetreuung. Viele Kindertagesstätten sind am Limit. Haben Sie die Hoffnung, dass sich da etwas ändert?

Andrea Boyer: Wir dürfen nicht aufhören, diese Forderung zu stellen, da wir politisch gerade einen Rückfall erleben, etwa durch rückwärtsgewandte Frauen- und Familienbilder. Frauen, die arbeiten gehen, wurden lange als Rabenmütter stigmatisiert. Das hat es in unseren Nachbarländern nie gegeben. Jetzt sind die Frauen so weit, dass sie sowohl Mutter sein als auch arbeiten gehen möchten. Sie sind sehr gut qualifiziert. Gleichzeitig brechen die Strukturen weg, die Gelder schmelzen ab. Wir dürfen jetzt nicht sagen, dass die Mütter zu Hause bleiben sollen, um weniger Stress zu haben. Berufstätige Mütter hatten früher auch Stress.

Wie schnell bekomme ich eine Kur, wenn ich in einer akuten Notsituation bin?

Diana Schrade-Geckeler: Es ist eines der großen Probleme nicht nur bei uns, sondern bei allen Vorsorgemaßnahmen, dass die Plätze so schnell ausgebucht sind. Eine Wartezeit von einem Dreivierteljahr bis zu einem Jahr ist die Realität. Die Krankenkassen haben darauf schon reagiert und stellen die Genehmigungen für eine Kur über einen längeren Zeitraum aus. Es zeichnet sich nicht ab, dass es weitere Plätze geben wird.

Und dann?

Diana Schrade-Geckeler: In der Zeit können die Frauen Unterstützung bei den Beratungsstellen bekommen. Aber sie sind auch enttäuscht. Sie haben eine Weile gebraucht, bis sie sich dazu durchringen, Hilfe zu suchen. Und dann hören sie, dass sie erst einmal keinen Platz bekommen. Die Wartezeit ist zu lange und wird dem, was die Frauen auch gesundheitlich brauchen, nicht gerecht.

Können Sie die Plätze denn nicht aufstocken?

Andrea Boyer: Jetzt kommen wir wieder zum Finanziellen. Wir benötigen Bundesbaumittel. Die sind im neuen Haushalt der Bundesregierung von 5,9 Millionen Euro pro Bauprojekt auf 3,3 Millionen Euro gekürzt worden. Immerhin wurden sie nicht komplett gestrichen.