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Neue Rias Studie

Antisemitische Vorstellungen sind weit verbreitet

Antisemitismus ist seit 2020 auf einem Höchststand. Die Gefahren für Jüdinnen und Juden werden in Deutschland immer größer, zeigt ein neuer Bericht des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus.

Ein Gebäude an dem ein Davidstern angebracht ist im Hintergrund, davor eine Überwachungskamera
Unsplash/Maks Key
Für Jüdinnen und Juden bereits Realität: Starke Sicherheitsvorkehrungen vor ihren Synagogen.

Antisemitismus ist in Deutschland neuen Daten zufolge auf dem Vormarsch. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) zählte 2024 gut 8600 antisemitische Vorfälle, 77 Prozent mehr als 2023, wie der Verein am Mittwoch mitteilte. Hintergrund seien der Hamas-Überfall auf Israel im Oktober 2023 und der danach begonnene Krieg im Gaza-Streifen, erläuterte Rias-Geschäftsführer Benjamin Steinitz.

Die Gefahr, als Jude und Jüdin in Deutschland angefeindet zu werden, hat sich seit dem 7. Oktober objektiv erhöht

sagt Benjamin Steinitz

Aufgestellte Blumenkränze vor der Synagoge in Halle
epd-bild/Steffen Schellhorn
5 Jahre nach dem rechtsextremistischen Anschlag auf die jüdische Gemeinde Halle im Jahr 2019.

Antisemitismus steigt seit 2020 

Die für 2024 ermittelte Zahl ist die bislang höchste in der 2020 begonnenen Zählung des Vereins. Rechnerisch ereigneten sich pro Tag knapp 24 Vorfälle – und es deutet sich kein Abflauen an: „Im Gegenteil, die Lage für Jüdinnen und Juden in Deutschland hat sich weiter verschärft”, sagte die wissenschaftliche Referentin beim Rias, Bianca Loy.

Der Bericht zeigt, dass viele Vorfälle dem israelbezogenen und Post-Schoah-Antisemitismus zuzuordnen sind. Darunter fallen auch Aussagen, die Parallelen zum Nationalsozialismus ziehen, oder relativierende Aussagen über den Holocaust.

Nie zuvor wurden uns mehr antisemitische Vorfälle auf der Straße, in Bildungseinrichtungen, an Gedenkorten oder im Internet bekannt.

sagte Steinitz

Antisemitische Überzeugungen seien aus unterschiedlichen Motiven weit verbreitet, sagte der baden-württembergischen Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume.  „Viele Ältere hegen Schuldkomplexe und versuchen sich dann durch NS-Gleichsetzungen zu entlasten. Und viele Jüngere informieren sich vor allem über TikTok und fallen dort auf hetzerische Propaganda herein.” Der digitale Antisemitismus, in dem sich die verschiedensten, judenfeindlichen Strömungen vermischten, dominiere ganz klar, sagte Blume.

Juden werden für Politik Israels verantwortlich gemacht

Am häufigsten erlebten Jüdinnen und Juden eine Täter-Opfer-Umkehr und eine Schuldumkehr, sagte Blume dem Evangelischen Pressedienst. Sie würden dabei für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht, obwohl sie meist gar keine israelischen Staatsbürger seien und oft selbst etwa der Kriegsführung in Gaza kritisch gegenüberstünden. Nur sehr wenige Menschen in Deutschland – unabhängig vom Alter – hätten den enormen Unterschied zwischen persönlicher Schuld und gesellschaftlicher Verantwortung bedacht.

Bei Schuld geht es ja um die eigene Vergangenheit, Verantwortung lernt dagegen aus der Geschichte für die gemeinsame Zukunft.

sagt Michael Blume

Zudem werde unterschlagen, dass Israel 2005 den Gaza-Streifen geräumt und die Hamas am 7. Oktober 2023 den aktuellen Krieg mit einem Terrormassaker eröffnet habe und immer noch Geiseln halte. Blume beklagte eine mangelnde Solidarität mit Jüdinnen und Juden. „Gerade auch eher linksorientierte und etwa studierende Jüdinnen und Juden erleben oft eine Entsolidarisierung, wenn plötzlich etwa auch sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder als vermeintlicher 'Widerstand' verharmlost wird”, sagte er.