Antisemitismus steigt seit 2020
Die für 2024 ermittelte Zahl ist die bislang höchste in der 2020 begonnenen Zählung des Vereins. Rechnerisch ereigneten sich pro Tag knapp 24 Vorfälle – und es deutet sich kein Abflauen an: „Im Gegenteil, die Lage für Jüdinnen und Juden in Deutschland hat sich weiter verschärft”, sagte die wissenschaftliche Referentin beim Rias, Bianca Loy.
Der Bericht zeigt, dass viele Vorfälle dem israelbezogenen und Post-Schoah-Antisemitismus zuzuordnen sind. Darunter fallen auch Aussagen, die Parallelen zum Nationalsozialismus ziehen, oder relativierende Aussagen über den Holocaust.
Nie zuvor wurden uns mehr antisemitische Vorfälle auf der Straße, in Bildungseinrichtungen, an Gedenkorten oder im Internet bekannt.
sagte Steinitz
Antisemitische Überzeugungen seien aus unterschiedlichen Motiven weit verbreitet, sagte der baden-württembergischen Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume. „Viele Ältere hegen Schuldkomplexe und versuchen sich dann durch NS-Gleichsetzungen zu entlasten. Und viele Jüngere informieren sich vor allem über TikTok und fallen dort auf hetzerische Propaganda herein.” Der digitale Antisemitismus, in dem sich die verschiedensten, judenfeindlichen Strömungen vermischten, dominiere ganz klar, sagte Blume.
Juden werden für Politik Israels verantwortlich gemacht
Am häufigsten erlebten Jüdinnen und Juden eine Täter-Opfer-Umkehr und eine Schuldumkehr, sagte Blume dem Evangelischen Pressedienst. Sie würden dabei für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht, obwohl sie meist gar keine israelischen Staatsbürger seien und oft selbst etwa der Kriegsführung in Gaza kritisch gegenüberstünden. Nur sehr wenige Menschen in Deutschland – unabhängig vom Alter – hätten den enormen Unterschied zwischen persönlicher Schuld und gesellschaftlicher Verantwortung bedacht.
Bei Schuld geht es ja um die eigene Vergangenheit, Verantwortung lernt dagegen aus der Geschichte für die gemeinsame Zukunft.
sagt Michael Blume
Zudem werde unterschlagen, dass Israel 2005 den Gaza-Streifen geräumt und die Hamas am 7. Oktober 2023 den aktuellen Krieg mit einem Terrormassaker eröffnet habe und immer noch Geiseln halte. Blume beklagte eine mangelnde Solidarität mit Jüdinnen und Juden. „Gerade auch eher linksorientierte und etwa studierende Jüdinnen und Juden erleben oft eine Entsolidarisierung, wenn plötzlich etwa auch sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder als vermeintlicher 'Widerstand' verharmlost wird”, sagte er.