Gehörlosigkeit

Bereit fürs Berufsleben

Jiayuan Liu ist seit kurzem Küchen-Fachpraktikerin. Die junge, gehörlose Frau hat ihre Ausbildung bei der Paulinenpflege durchlaufen und das sehr erfolgreich. Von Antje Schmitz

Jiayuan Liu steht am Herd neben einem Koch.
Foto: Antje Schmitz
Jiayuan Liu wird vom Küchenmeister gelobt.

Jiayuan Liu hat ihre Abschlussprüfung geschafft – und das als Tagesbeste. Nun ist die taube junge Frau Fachpraktikerin Küche. Ihre Ausbildung hat sie im Berufsbildungswerk bei der Paulinenpflege absolviert, einer diakonischen Einrichtung der Jugend- und Behindertenhilfe in Winnenden. Die Paulinenpflege engagiert sich besonders für Menschen mit Hörbehinderung sowie für solche mit Autismus.

So eine Mitarbeiterin hätte ich mir früher gewünscht

sagt Küchenmeister Gerd Hinderer

Ein großes Lob von einem Mann, dessen Familie 100 Jahre lang ein Restaurant betrieb. Dabei musste Jiayuan Liu mehrere Hürden bis zum erfolgreichen Abschluss nehmen. Sie kam 2015 mit ihren Eltern aus China nach Deutschland, in eine fremde Kultur. Einen Schulabschluss hatte sie nicht. Außerdem ist die junge Frau stark hörbehindert.

Unterstützung durch die Paulinenpflege

Wenn eine Hörende ihr eine Frage stellt, übersetzt eine Dolmetscherin dies in Gebärdensprache. An diesem Nachmittag, beim Gespräch mit dem Gemeindeblatt, steht Jana Jamal der 23-Jährigen zur Seite. „Im ersten Lehrjahr war ich unsicher“, sagt Jiayuan Liu in Gebärdensprache. „Ich habe niemanden gekannt, war ängstlich. Jetzt bin ich lockerer und gehe auf andere Leute zu.“ Dabei hat ihr auch das Zusammenleben mit den anderen Auszubildenden geholfen. Denn während der Ausbildung wohnen die jungen Leute gemeinsam im Internat. Die Auszubildenden sollen in ihrer Persönlichkeit reifen und eigenständiger werden. Sie bekommen die Unterstützung, die sie benötigen. Eine Logopädin half Jiayuan Liu.

Jiayuan Liu rührt mit einem großen Rührbesen
Foto: Antje Schmitz
Die Arbeit als Beiköchin ist ganz schön anstrengend.

Ausbildung zur Beiköchin

Die Ausbildung zur Fachpraktikerin Küche (Beiköchin) dauert drei Jahre. Jiayuan Liu hat ein Jahr drangehängt, weil sie sich erst in Deutschland zurechtfinden musste. Derzeit arbeiten elf Auszubildende in der Küche der Paulinenpflege. Um 7 Uhr beginnt ihr Arbeitstag. Um 9 Uhr frühstücken sie gemeinsam. Dann geht es rund. Die Kantine gibt Tag für Tag etwa 1400 Essen aus, dazu kommt das Catering für Veranstaltungen. Erst wenn alle Gäste satt sind, gegen 14 Uhr, essen die Auszubildenden und die anderen Mitarbeiter in der Küche zu Mittag. Um 16 Uhr machen die Auszubildenden Feierabend. Jiayuan Liu arbeitet gern in der Küche.

Die Arbeit macht Jiayuan Liu Freude

Auf die Frage, welcher Schritt ihr besonders Freude machte, antwortet sie: „Alles.“ Sie ist hilfsbereit, eine gute Springerin, die zur Stelle ist, wo sie gebraucht wird, lobt ihr Ausbilder Gerd Hinderer. Sie ist stark im Praktischen und in Mathematik, Rezepte umzurechnen ist kein Problem. Die Rezepte kommen von den Meistern, ab und zu dürfen die Auszubildenden eigene Vorschläge machen.

Welches Gericht mag Jiayuan Liu am liebsten? Da muss die 23-Jährige nicht lange überlegen: Chinesische Gerichte schmecken ihr am besten, Gemüse und Suppen. In ihrer Freizeit schwimmt und reitet sie gern oder trifft sich mit Freunden.

Gerd Hinderer sagt, dass er für die Küche einen erwachsenen Gehörlosen sucht. Wäre das nichts für Jiayuan Liu? Nein, das komme zu früh für sie, antwortet er: Sie solle erst einmal hinaus in die Welt und dort Erfahrungen sammeln.

Jiayuan Liu steht mit zwei Männern vor einem großen Becken mit Kartoffelschnitzen
Foto: Antje Schmitz
Jiayuan Liu macht das Kochen Spaß.

Hilfe beim Bewerbungen schreiben

Jetzt schreibt die Küchen-Fachpraktikerin Bewerbungen. In Frage kommen Kantinen von Krankenhäusern, Betrieben und Altenheimen, eben alle Küchen, in denen große Mengen zubereitet werden. Bei den Bewerbungen hilft ihr Nadine Zawinul, ihre Sozialdienst-Betreuerin, denn die Begleitung endet nicht mit der Ausbildung, sondern erstreckt sich auch über den Start ins Berufsleben.

Selmar Ehmann, der stellvertretende Ausbildungsleiter des Berufsbildungswerks in der Paulinenpflege, erläutert, dass das System Berufsbildungswerk unter anderem auch eine Sonderberufsschule, Heilgymnastik, Sozialpädagogik, Sozialdienst und Logopädie umfasst.  „Für viele Jugendliche ist das die Garantie, dass die Ausbildung funktioniert.“ Und dass der Start in ein eigenständigeres Leben gelingen kann – so wie bei Jiayuan Liu.