Frau Azar, welche Botschaft wollen die palästinensischen Frauen mit ihrer Weltgebetstagsordnung 2024 weitergeben?
Sally Azar: Unser größtes Anliegen ist, dass die Stimmen der palästinensischen Frauen gehört werden. Sie leben seit Jahren unter der Besatzung Israels. Morgens stehen wir damit auf und abends gehen wir damit schlafen. Uns ist wichtig, dass die Welt hört, wie wir leiden.
Das deutsche Weltgebetstagskomitee hat Ihren Text verändert. Wurde das mit Ihnen besprochen?
Sally Azar: Uns wurde gesagt, dass sie kontextualisieren wollen, Einführungen ergänzen, aber die Texte nicht ändern. Das fanden wir anfangs in Ordnung. Aber dann wurde doch vieles mehr geändert. Unsere Wortwahl drückt aber genau unsere Perspektive aus auf das, was wir erleben. Das stört offenbar das deutsche Weltgebetstagskomitee. Uns stört es auch, unter Besatzung zu leben.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Sally Azar: Sie haben in den Lebensgeschichten, die palästinensische Christinnen erzählen, einige Worte gestrichen, Israel als Besatzer oder die Vertreibung ihrer Großeltern, von der eine Frau erzählt. Wir schildern unsere Erfahrungen und Frauen in Deutschland verändern sie, als ob Palästinenserinnen die Unwahrheit sagen. Warum ändert man etwas, was für uns existenziell ist?
Gab es Gespräche darüber?
Sally Azar: Ja, wir hatten ein Zoom-Gespräch und ein paar E-Mails als Austausch. Im Zoom-Gespräch waren wir ganz klar und haben gesagt, dass wir eine neue Liturgie nicht akzeptieren können. Wir haben dem deutschen Weltgebetstagskomitee geschrieben, dass uns ihre Absicht verletzt. Daraufhin sagten sie uns, die Ordnung wird verändert, weil es in Deutschland mit einigen Formulierungen Probleme gibt. Nicht alles, was jetzt in der Liturgie steht, ist mir so vorher gezeigt worden. Nach der letzten Ausgabe stellten wir fest, wie viel geändert wurde. Es geht uns darum, dass wir uns nicht gehört fühlen. Ich respektiere natürlich, was die Frauen vom deutschen Komitee machen, weil ich weiß, dass sie unter Druck stehen. Trotzdem wäre es schön gewesen, wenn sie unsere Liturgie nicht ganz von der Website entfernt und es so den Frauen in den Gemeinden überlassen hätten, in welcher Form sie mit uns beten.
Wie haben die palästinensischen Frauen reagiert?
Sally Azar: Sie waren nicht überrascht, aber enttäuscht. Auch Palästinenserinnen in Deutschland sagen: Das ist nicht mehr das, was wir erleben. Das wollen wir nicht beten. Wir würden als palästinensisches Weltgebetstagskomitee keine antisemitische Liturgie beten. Geändert wurde, wie wir Israel sehen und erleben.
Hinter Kritik an Israel kann auch versteckter Antisemitismus stehen. Das können deutsche Gemeinden besonders nach dem Massaker der Hamas in Israel nicht akzeptieren, denn sie stehen an der Seite Israels. Sie vermissen Kritik an der Hamas. Können Sie das nachvollziehen?
Sally Azar: Ich verstehe, dass Christen in Deutschland an der Seite jüdischer Menschen stehen, weil sich die Vergangenheit nicht wiederholen darf. Wir sind auch nicht gegen jüdische Menschen, sondern gegen die israelische Regierung und ihre Besatzungspolitik. Aber das zu sagen, ist nicht antisemitisch.
Wie leben Christinnen im Gaza derzeit? Wie halten Sie Kontakt?
Sally Azar: Wir rufen ständig unsere Gemeindemitglieder an und fragen, wie es ihnen geht. In Gaza gibt es zwar keine lutherische Kirche, aber ungefähr 700 bis 1000 orthodoxe, anglikanische und katholische Christen. Sie verstecken sich in Kirchen, denn sie haben kein Zuhause mehr. Eine Frau der orthodoxen Kirche verlor zwölf ihrer Familienmitglieder in Gaza, alle Christinnen, darunter vier Kinder.
Es gibt auch Gewalt und Terror von palästinensischer Seite. Das kommt in der Weltgebetstagsordnung nicht vor.
Sally Azar: Zuerst war die Besatzung und dann kam der palästinensische Widerstand. Den gibt es natürlich. Das gehört in den Geschichtenteil der Materialien, wo es auch erwähnt ist, nicht in unsere Liturgie. Wenn wir beten, dann beten wir für einen Frieden für alle Menschen.