Direkt zum Inhalt
Dankbarkeit

Das sagt die Bibel über Dankbarkeit

Dankbarkeit macht sensibler, gesünder, glücklicher – Man sollte meinen, die Dankbarkeit spielt auch in der Bibel eine zentrale Rolle. Doch der Blick darauf birgt Überraschungen. Von Adrian Marschner

Mann und Frau lachen sich an
Unsplash/Lucas Lenzi

„Ein bisschen mehr Dankbarkeit hat noch keinem geschadet“, könnte man sagen. Und Dankbarkeit hat nachweisbar positive Auswirkungen auf die mentale und sogar auf die körperliche Gesundheit. Andererseits stimmt der Dankbarkeits-Boom zugleich nachdenklich. Denn die übermäßige Beschäftigung mit einer bestimmten Sache ist häufig Ausdruck eines Defizits. Könnte es sein, dass die Dankbarkeitsbücher, -aufsätze, -videos einem Mangel abzuhelfen suchen?

Denn diese Beobachtung kann man ja ebenso machen: dass sehr vieles für selbstverständlich genommen wird, von dem Menschen vergan­ge­ner Zeiten oder anderer Erdteile nur träumen konnten oder können. Dass es eine ausgeprägte Anspruchs­haltung und entsprechend schnell große Unzufriedenheit gibt, was die Verfügbarkeit von Waren, Dienstleistungen, Karriere- oder auch Freizeitmöglichkeiten gibt.

Dankbarkeit in der Bibel – gar nicht so einfach

Als Christ liegt es nahe, sich in ­dieser verwirrenden Gemengelage zwecks Orientierung der Bibel zuzuwenden. Ebenfalls ein Buch, genauer eine ganze Bibliothek, müsste sie doch eigentlich alles Wesentliche zum Thema beinhalten. Doch der Befund enttäuscht. Es fängt schon damit an, dass das Hebräische, in dem der größte Teil des Alten Testaments verfasst ist, gar keinen Begriff für „Dankbarkeit“, ja noch nicht einmal für „Dank/danken“ kennt. Da das Alte Testament seine theologische Botschaft jedoch über weite Strecken erzählerisch entfaltet, lohnt ein genauerer Blick.

Unterschiede in der Dankbarkeit erkennen

Eine grundlegende Unterscheidung innerhalb des Alten Testaments ist die zwischen Dank gegenüber Menschen und gegenüber Gott. Wo Dank im Zwischenmenschlichen begegnet, ist er in aller Regel eine Reaktion, also ein „Dank für etwas“. Zeitlich weist er somit zunächst in die Vergangenheit. Da der Dank zwischen Menschen jedoch häufig mit dem Begriff „segnen“ formuliert ist, besitzt er auch einen auf die Zukunft verweisenden Aspekt, insofern der Segen als wirkmächtig für das zukünftige Ergehen des Gesegneten verstanden wird.

Beispiele für Handlungen, die dem Wohltäter einen solchen Segenswunsch einbringen:

  • die Rückgabe eines Pfandes (5. Mose 24,13)
  • die Begnadigung eines Aufständischen (2. Samuel 14,22)
  • Hilfe in materieller Not (Rut 2,20)

Sehr viel häufiger sind Situationen, in denen sich Menschen zu „Dank“ gegenüber Gott veranlasst sehen. Es handelt sich meist um menschliche Grenzerfahrungen wie die Geburt eines Kindes (1. Mose 29,35), die Rettung aus Todesgefahr auf hoher See (Jona 2) oder die Führung auf Reisen mit ungewissem Ziel (1. Mose 24,27+48). Für das Volk Israel von besonderer Bedeutung sind die Rettung am Schilfmeer (2. Mose 15,1-2) und die folgende Befreiung aus Ägypten (2. Mose 18,10). Wer sich derartiger Ereignisse erinnert, zeigt sich dankbar, wer sie hingegen vergisst, ist undankbar gegenüber Gott (5. Mose 8).

Mann steht mit ausgebreiteten Armen auf Berg
Unsplash+/Getty Images
So kann Dankbarkeit ausgedrückt werden – voller Freude die Hände in Richtung Himmel halten.

Wie wird Dankbarkeit ausgedrückt

Ausgedrückt wird der Dank bevorzugt in Form von Dankliedern, wie sie sich auch in den Psalmen finden (Psalm 27,6 und andere). Im Grunde sind diese Lieder ebenso wie die ­sogenannten „Dankopfer“ als Ausdruck des Dankes aber missverstanden. Sie zielen vielmehr auf das Lob Gottes ab. Noch stärker als zwischen Menschen, wo die Segnung ebenfalls eine Statuserhöhung mit sich bringen soll, gilt für Gott, dass die Reaktion auf sein rettendes und lebensförderliches Handeln seine Herrlichkeit und Ehre zum Ausdruck bringen und befördern soll.

Während man schon Menschen gegenüber zu Dank verpflichtet sein und ihn dennoch schuldig bleiben kann, ist es mit Blick auf Gott ge­radezu unmöglich, sich einen an­gemessenen Ausdruck des Dankes vorzustellen. Das ist zum Glück auch gar nicht nötig. Der Verzicht auf jegliche Gegengabe ist in Gottes Handeln angelegt. Das ist es, was der Ausdruck „Gnade“ meint, der entsprechend nicht zum Dank, sondern zum Lob herausfordert. Vor diesem Hintergrund leuchtet es also ein, dass Danken im Alten Testament nur eine „Weise des Lobens“ ist. Da das Loben – im Gegensatz zum Dank – stets öffentlich stattfindet, erhält es zugleich Verkündigungscharakter.

Die Bibel überrascht bei der Dankbarkeit

Der Streifzug durch die Bibel auf der Suche nach Dankbarkeit hat Überraschendes zutage gefördert. Da viele biblische Texte überwiegend handlungsorientiert sind, spielt der Vorgang des Dankens und oder die Formulierung des Dankes eine viel größere Rolle als das Gefühl der Dankbarkeit.

Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament handelt es sich daher beim „Dank“ um eine Form des Lobens, Preisens, der Ehrung und Verherrlichung. Es geht um ein soziales und vor allem öffentliches Geschehen, das den Wohltäter ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt. Und hier liegt denn auch die entscheidende Differenz zum heutigen Fokus auf das „Gefühl von Dankbarkeit“. Denn dieses steht in der Gefahr der Selbstbezogenheit.

Bei vielen Menschen, die nicht in einer bestimmten Glaubenstradition verortet sind, fehlt für den Dank sogar ein identifizierbarer Adressat. Wem soll man danken für die Geburt eines Kindes, für einen schönen Sommertag, für das Glück, auf der Welt zu sein – wenn es keinen Gott gibt? Aber auch wer an diesen Gott glaubt und ihm für all das und noch viel mehr dankt, tut es heute bevorzugt privat, im stillen Kämmerlein, vielleicht sogar verschämt. Das muss nicht so sein.

Den ungekürzten Artikel lesen Sie im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg in der Ausgabe 29/2024. Hier geht es zum e-Paper.