Nahostkonflikt

Die prekäre Lage junger Christen in Israel

Auch für Christen wird seit dem Hamas-Terrorangriff gegen Israel am 7. Oktober 2023 die Lage ­zunehmend schwieriger. Das Hilfswerk „Kirche in Not” unterstützt die Gemeinden vor Ort. Dennoch wollen immer mehr Jugendliche auswandern. Von André Stiefenhofer

Gruppe junger Menschen und Kinder hält Liedblätter in der Hand
Pressebild/Kirche in Not
Sommercamp: Die jungen Teilnehmer, die sich hier getroffen haben, sind Nachfahren christlicher Migranten in Jerusalem.

Junge Christen wandern aus

Der Krieg im Heiligen Land führt zu einer verstärkten Abwanderung junger Christen aus Israel und aus den Palästinensischen Gebieten. Das berichteten zahlreiche Gesprächspartner einer Delegation des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“, die diese Region bereiste.

„Viele junge Leute haben keine Hoffnung mehr. Sie stellen Heirat und Familiengründung zurück und versuchen, das Land zu verlassen“, sagt die Leiterin der Sozialdienste im Lateinischen Patriarchat von Jerusalem, Dima Khoury. Es sei schwer, Hoffnung zu vermitteln.

Das glaubt auch Jugendseelsorger Louis, der in Ramallah im Westjordanland eine Gruppe der katholischen Organisation „Youth of Jesus’ Homeland“ leitet.

Wir bitten die Jugendlichen eindringlich, nicht auszuwandern. Wenn die Christen gehen, werden die heiligen Stätten wie kalte, verlassene Museen sein.

sagt Jugendseelsorger Louis

Berechnungen des Berichts „Religionsfreiheit weltweit 2023“ von „Kirche in Not“ zufolge liegt die Zahl der Christen in den Palästinensischen Gebieten bei rund 50.000, in Israel unter 180.000. Darunter sind auch zahlreiche arabische Christen mit israelischer Staatsbürgerschaft.

Tendenz zur Abwanderung durch Krieg und Terroranschlag verstärkt

Die Tendenz zur Abwanderung hält seit Jahren an und hat sich durch die Terroranschläge der islamistischen Hamas und den darauffolgenden Krieg verstärkt. „Wie so viele Menschen wünschen wir uns einfach unser Leben vor dem 7. Oktober 2023 zurück, als die Hamas Israelis angriff“, berichtet der junge christliche Journalist Raffi Ghattas aus Ostjerusalem. Auch vor dem jüngsten Krieg sei der Alltag zwar von Kontrollen und verschärften Lebensbedingungen geprägt gewesen, aber das hätten die Christen als Normalität wahrgenommen.

Schwierige wirtschaftliche Situation für junge Christen 

Viele arabischsprachige Christen seien in Jerusalem vom West- in den Ostteil der Stadt abgedrängt worden, wo sie wegen der hohen Immobilienpreise kaum Eigentum erwerben konnten. „Die Mieten verschlingen fast ein ganzes Einkommen“, erläutert Dima Khoury. Auch im Westjordanland hat sich die Situation für viele Christen verschärft.

Vor dem Krieg hatten rund 180.000 Palästinenser eine Arbeitserlaubnis für Israel; diese wurden aus Sicherheitsgründen zunächst alle widerrufen und bislang nur für etwa 10.000 Personen erneuert. Das spüren auch junge Christen wie der Schmied Shaheen, der „Kirche in Not“ beim Treffen einer Jugendgruppe in Ain Arik bei Ramallah berichtet:

Vor dem Krieg habe ich in Israel umgerechnet etwa 100 Euro pro Tag verdient, heute komme ich auf etwa zehn Euro.

Junge Menschen sitzen in einem Stuhlkreis zusammen
Pressebild/Kirche in Not
Junge Christen aus Haifa und Nazareth treffen sich zu einer Gesprächsrunde

Neues Jugendzentrum ist ein Hoffnungsschimmer

Die jungen Erwachsenen treffen sich in einem verlassenen Gebäude, das mit Hilfe von „Kirche in Not“ zu einem neuen Jugendzentrum umgebaut werden soll. „Wir haben uns für diese Lage abseits der Stadt und im Zentrum des Westjordanlands entschieden, damit möglichst viele junge Leute zu Bibel- und Gruppenstunden, Exerzitien und Sommercamps kommen können“, erzählt Jugendseelsorger Louis.

Viele Christen im Norden Israels fühlen sich als Bürger zweiter Klasse 

Anders als im Westjordanland oder in Ostjerusalem besitzen zahlreiche arabische Christen im Norden von Israel zwar die israelische Staatsbürgerschaft, fühlen sich jedoch seit Kriegsausbruch häufig als Bürger zweiter Klasse.

Der Krieg hat zu mehr Trennung und Diskriminierung geführt. Viele arabischsprachige Christen empfinden sich weder als Israelis noch als Palästinenser.

sagt Priester Johnny Abu Khalil

Ein Ort für junge Christen in Israel

Er baut aktuell in Haifa ein Jugendgästehaus und ein Restaurant auf. Dieses Lokal richtet sich besonders an junge Menschen, die vor offiziellen Veranstaltungen zurückschrecken. „Hierher können sie ganz ungezwungen kommen. Wenn sie sehen, dass ein Seelsorger da ist, fangen sie oft an, Fragen nach dem Glauben oder der Lebensgestaltung zu stellen“, sagt Khalil.

Prekäre Lage für Nachkommen von Migranten

Schwierig ist aktuell die Lage auch für die Nachkommen von Migranten und Asylbewerbern, die oft zu den ärmsten Gesellschaftsschichten gehören. Unter ihnen sind zahlreiche Christen, deren Eltern in der Alten- und Krankenpflege tätig sind oder einfache Hilfsarbeit verrichten. Von ihnen fühlen sich viele als Israelis, die Staatsbürgerschaft erhalten sie aber nicht.

Das israelische Bürgerrecht ist gegenüber nichtjüdischen Ausländern oft restriktiv, sagt Piotr Zelasko, der im Auftrag des Lateinischen Patriarchats für die kleine hebräischsprachige Gemeinde in Israel zuständig ist:

Die Nachkommen der Zuwanderer fühlen sich oft zu hundert Prozent als Israelis. Sie sprechen wie sie, kleiden sich wie sie, hören dieselbe Musik wie sie. Und doch droht ihnen die Abschiebung.

sagt Piotr Zelasko

Früher habe Israel jungen Migranten die Staatsbürgerschaft angeboten, wenn sie Militärdienst leisteten. Aber auch das sei jetzt im Krieg nicht mehr so. „Für einige nationalistische Politiker ist es wichtiger, ‚Israel reinzuhalten‘. Sie verwenden wirklich solche Begriffe; es ist sehr schmerzhaft, das zu hören.“ Für junge Christen in Israel werde die Lage dadurch immer prekärer.