„Da sind Sätze gefallen wie ‚Homosexualität ist eine Sünde‘, ‚Ich würde dich willkommen heißen in der Gemeinde, aber Jungschar machen lassen würde ich dich nicht‘ oder ‚Es ist okay, solange du das nicht auslebst‘“, sagt Liv, wenn sie sich an die Homophobie in ihrer früheren Gemeinde erinnert. Sie ist 21 Jahre alt, studiert mittlerweile in Tübingen und hat dort ein Umfeld gefunden, das ihr und ihrer sexuellen Orientierung offen gegenüber ist. Doch die verletzenden Aussagen der Jugendreferenten hat sie noch genau in Erinnerung.
Strukturell fühle ich mich als queere Frau nicht angenommen in der Evangelischen Kirche
sagt Liv.
Bei Lisa ist das ähnlich: „Es kommt auf die Kirche und das Umfeld an“, fügt sie hinzu. Vor ihrem Studium war sie sowohl in der Landeskirche als auch in Freikirchen engagiert. „Ich habe auf Freizeiten oder in der Gemeinde immer wieder Leute angesprochen und gefragt, was sie vom Thema Homosexualität halten. Und da habe ich nie eine nette Antwort bekommen“, sagt die 23-Jährige. Es sei immer um Bibelstellen gegangen und Homosexualität wurde schlechtgeredet, als pervers oder abartig dargestellt. Wenn überhaupt sei Homosexualität toleriert, nicht aber akzeptiert worden.
Homophobie verletzt
Diese Art von Aussagen haben beide Frauen stark verletzt. Es sei leichter gewesen, damit umzugehen bei Menschen, die ihr nicht so nahe standen, erklärt Lisa. „Bei Nahestehenden, vor allem wenn man noch jünger ist und noch glaubt, dass sie irgendwie recht haben und ich mich verändern sollte, dann ist das viel schwerer“, erinnert sich Lisa. Für sie war das ein innerer Konflikt.
Man versucht sich selber irgendwie zu akzeptieren.
sagt Lisa
Viel Unsicherheit in der Jugend
Gemerkt, dass sie queer sind, haben die beiden Frauen jeweils mit etwa 15 Jahren. „Als beim Zeltlager das Thema in meinem Freundeskreis aufkam, war ich selber noch unsicher“, erzählt Liv. „Auf diesem Zeltlager habe ich mich dann zum ersten Mal in ein Mädchen verliebt“, sagt sie. Sie habe sich die Meinungen der anderen über Homosexualität angehört und diese heruntergeschluckt. Dadurch sei es nicht zur direkten Konfrontation gekommen.
Nicht nur negative Erfahrungen
Doch Liv hat in ihrer Jugend nicht nur negative Erfahrungen in Bezug auf ihre sexuelle Orieniertung gemacht: „Eine Freundin aus meinem damaligen Freundeskreis war am Anfang sehr geschockt darüber, dass es in unserer Freundesgruppe queere Menschen gibt. Mit ihr bin ich aber immer noch sehr gut befreundet und sie hat da eine Entwicklung durchgemacht.“
Bei Lisa gab es nur eine positive Erfahrung in ihrer Jugend. „Das war eine queere Person, bei der ich mich geoutet hatte. Das war sehr schön, weil sie meinte, dass es okay ist und sie auch so ist. Ich wurde in den Arm genommen und wir haben zusammen geweint“, erzählt sie. Bei anderen Menschen in ihrer Gemeinde habe sie sich nicht geoutet.
Im Studium endlich angenommen worden
Der Übergang zwischen der Schulzeit und dem Studium war für beide Frauen prägend: „Man erkennt, dass die eigene Gemeinde und die eigenen Erfahrungen mit der Kirche nicht überall gleich sind. Mir war das wichtig zu sehen, dass es ganz viele verschiedene Strömungen und Meinungen gibt. Und nicht jeder tickt so wie in dem kleinen Dorf, aus dem man kommt“, sagt Lisa. In ihrer konservativen Familie sei sie nicht geoutet, nur ihre Mutter weiß Bescheid. Ihre Familie sei prinzipiell gegen Queerness, erzählt sie.
Liv wurde von ihrer Familie von Anfang an akzeptiert, wie sie ist. Das sei ein drastischer Gegensatz zu ihrer Kirchengemeinde gewesen. „Meine Eltern sind nicht besonders christlich und ich wusste von der Kirche nur das, was mir innerhalb der Gemeinde gesagt wurde, und da wurde mir natürlich nicht gesagt, dass die Meinung, Homosexualität sei eine Sünde, umstritten ist, dass nur manche Menschen so denken. Ich dachte, das sei die Meinung aller Christen. Noch bevor ich studiert habe, war ich zu Besuch in Tübingen und habe festgestellt, es geht offenbar auch anders. Das war ein Lernprozess“, sagt Liv. Heute gehe sie mit ihrem Engagement für queere Menschen bei der Initiative Bunt fürs Leben offen um.
Glaube und Queersein
Glaube und Homosexualität ist für beide Frauen kein Gegensatz. „Ich bin überzeugt, dass Gottes Liebe zu uns und auch zu dem, wie wir geschaffen sind, sich genau so aus der Bibel ableiten lässt“, sagt Liv. Darüber hinaus sei es auch wichtig, den Kontext der Bibelstellen zu betrachten und diese mit dem aktuellen Zeitgeist zu bewerten.
Wenn wir das Doppelgebot der Liebe betrachten, dann führt doch letztendlich alles auf die Liebe zurück.
sagt Lisa, die Theologie auf Lehramt studiert und ebenfalls bei Bunt aktiv ist
Die Landeskirche sollte sich aktiv hinter queere Menschen stellen und in Zukunft ihre Unterstützung sichtbar machen, fordert sie. Denn queere Menschen hätten eher negative Erfahrungen mit Kirche gemacht, würden sich auch seltener trauen, mit der Kirche in Kontakt zu kommen.
Zeichen könnten unter anderem sichtbare Regenbogen-Flaggen oder Statements auf Internetseiten sein. Denn: „Wenn die Kirche nicht explizit sagt, dass sie dafür ist, nehmen Menschen immer an, dass sie gegen queere Menschen ist“, erklärt Lisa ihren Wunsch.