Fragen an eine Dolmetscherin für Deutsche Gebärdensprache

Hannah Häberle ist Dolmetscherin für Deutsche Gebärdensprache. Von Katharina Hirrlinger

Hannah Häberle
Evangelisches Medienhaus GmbH
Hannah Häberle ist Dolmetscherin für Deutsche Gebärdensprache.

Wie und warum wird man Dolmetscherin für Deutsche Gebärdensprache?

Hannah Häberle: Die Tätigkeit als Dolmetscherin ist ebenso vielfältig wie die Gründe, warum Menschen diesen Beruf ergreifen. Oft geht mit dem Wunsch, Dolmetscherin zu werden, eine tiefe Faszination für die Gebärdensprache und die Gehörlosenkultur einher. Viele Dolmetscher haben den Wunsch, zu einer inklusiven Gesellschaft beizutragen und die Teilhabe aller zu ermöglichen. Der beste Weg, um diesen Beruf zu erlernen, ist ein entsprechendes Studium! Bei mir ist es so, dass die Deutsche Gebärdensprache meine Muttersprache ist, weil ich in einer Familie mit gehörlosen Eltern aufgewachsen bin und ich mir daher einen Alltag ohne die Gebärdensprache nicht vorstellen könnte. Da ich mein allgemeines Interesse an Sprachen mit einem abwechslungsreichen Tätigkeitsfeld verbinden wollte, habe ich mich für den Beruf der Dolmetscherin entschieden!

Muss man die DGS kontinuierlich trainieren wie bei anderen Sprachen?

Hannah Häberle: Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist eine vollwertige Sprache mit eigenständigem Vokabular und grammatikalische Strukturen und Regeln, und wie bei allen Sprachen gilt es, dranzubleiben! Außerdem entwickelt sich die DGS wie andere Sprachen auch immer weiter - es gibt also immer neue Begriffe und Redewendungen zu entdecken!

Was sind die Unterschiede zwischen Deutscher Schriftsprache und der DGS?

Hannah Häberle: Der offensichtlichste Unterschied liegt denke ich darin, dass die DGS eine visuelle Sprache ist! - Sie „funktioniert“ in 3D. Grammatikalische Strukturen werden beispielsweise im dreidimensionalen Raum verankert. Dazu kommt noch der Einsatz von Mimik! Ganz besonders mag ich an der Gebärdensprache, dass Dinge teilweise viel kompakter ausgedrückt werden können, aber keineswegs an Komplexität verlieren. Ganz spannend wird es auch, wenn es an Kunstformen, wie zum Beispiel Poesie geht. In der Gebärdensprache gibt es sogar eine ganz eigene Art, zu erzählen, die nur wenige bis zur Perfektion beherrschen und die gar nicht eins zu eins in Lautsprache übersetzt werden kann.

Wer bezahlt einen eigentlich als Gebärdensprachdolmetscherin?

Hannah Häberle: Das kommt ganz auf den Auftraggeber an. Ein paar Beispiele: Besuche beim Arzt zahlt die Krankenkasse, das Integrationsamt übernimmt die Kosten für viele Einsätze im Berufsleben, wie beispielsweise Mitarbeitergespräche oder Teamrunden, und für Veranstaltungen oder Projekte im Kulturbereich gibt es manchmal Gelder von Stiftungen oder Vereinen. Leider sind wir heute noch nicht so weit, dass Gehörlosen immer selbstverständlich ein Dolmetscher ermöglicht wird, vor allem im Privaten – ein Besuch bei einem Vortrag oder eine Beratung beim Frisör sind beispielsweise Situationen, von denen Gehörlose ausgeschlossen sind sofern sie nicht aus eigener Tasche Dolmetscher bezahlen möchten, oder die sie mit Mühe selber meistern müssen.

Was macht Ihnen an der Arbeit Freude?

Hannah Häberle: Mir bereitet besonders Freude, dass ich täglich mit unterschiedlichen Menschen und in vielfältigen Settings arbeiten kann. Diese Vielfalt ermöglicht es mir, neue Perspektiven kennenzulernen und bereichert meinen Horizont. Außerdem habe ich die Möglichkeit, Wissen aus verschiedenen Bereichen zu erwerben, was meine Arbeit spannend und abwechslungsreich macht. Auch schätze ich die Flexibilität und Unabhängigkeit, die mir dieser Beruf bietet, besonders mit Kindern bin ich dankbar, dass mein Job eine gute Work-Life-Balance ermöglicht. Am meisten liebe ich allerdings Situationen, bei denen ich merke: Ich bin als Dolmetscherin zwar präsent, werde aber gleichzeitig kaum wahrgenommen, weil die Kommunikation so reibungslos verläuft. Wenn beide Parteien in einem Gespräch sich verstanden und gut repräsentiert fühlen, macht mich das glücklich.

Welche Herausforderungen erleben Sie?

Hannah Häberle: Eine häufige Herausforderung ist, dass viele Hörende mich fälschlicherweise als bloßen Helfer für Gehörlose wahrnehmen, anstatt zu erkennen, dass ich (auch) da bin, weil sie selber leider keine Gebärdensprache beherrschen.

Was war ein besonders spannender Dolmetscher-Auftrag?

Hannah Häberle: Seit zwei Jahren arbeite ich mit dem Jungen Ensemble Stuttgart zusammen und stehe als Dolmetscherin bei Theatervorstellungen auf der Bühne. Dabei wenden wir das „Shadow Interpreting“ an, ich bin also komplett in die Inszenierung integriert. Dazu bin ich auch bei Proben dabei und bereite mich intensiv vor - diese Art des Dolmetschens ist für mich besonders spannend!

Wenn Sie ein Wort nicht kennen – wie gehen Sie damit um?

Hannah Häberle: Im Bestfall tritt diese Situation gar nicht erst nicht ein - Vorbereitung ist da alles! Falls mir trotzdem ein Wort aus der Lautsprache unbekannt ist, kann ich es manchmal aus dem Kontext erfassen. Wenn wir in Doppelbesetzung arbeiten, mache ich meine Co-Dolmetscherin darauf aufmerksam, dass ich Hilfe brauche. Wenn es sich nicht gerade um ein Vortragssetting handelt, habe ich auch manchmal die Möglichkeit, direkt nachzufragen. Wenn ich eine Gebärde für einen Begriff nicht weiß, ist es oft die beste Möglichkeit, das Wort mit dem Fingeralphabet zu buchstabieren, manchmal bekommt man dann auch direkt Feedback von der gehörlosen Person. Wenn möglich, notiere ich mir das Wort und schaue es nach dem Auftrag in einem DGS-Wörterbuch nach oder erfrage es bei gehörlosen Freunden.

Wie kann man man einen Übersetzungsauftrag durchhalten?

Hannah Häberle: Insgesamt erfordert meine Arbeit ein hohes Maß an Konzentration, die Fähigkeit, unter Druck zu arbeiten, und die Fähigkeit, in schwierigen Situationen ruhig und professionell zu bleiben. Manchmal gibt es Faktoren, die das Dolmetschen erschweren, wie sehr laute Geräusche oder schlechte Lichtverhältnisse, die die Sicht auf die Gebärden beeinträchtigen können. Auch das lange Dolmetschen am Stück kann körperlich und mental anstrengend sein. Bei Einsätzen mit einer Dauer von über anderthalb Stunden arbeiten wir deshalb in Doppelbesetzung! Mit der Zeit habe ich immer mehr gelernt, achtsam mit mir selber und meiner Kapazität zu sein. Ich muss mich selber oft daran erinnern, mich aktiv zu entspannen oder zwischendurch mal etwas zu trinken. Und was ich auf jeden Fall nie vergesse: Snacks einpacken!