Kultur

Giacomo Puccini und die Kirchenmusik

Vor 100 Jahren starb Giacomo Puccini. Im italienischen Musiker und Schöpfer von „La Bohème”, „Tosca” und „Madame Butterfly” schlummerte auch das Talent zur Kirchenmusik. Von Markus Dippold

Giacomo Puccini in schwarz-weiß Fotografie
epd-bild/akg-images

Giacomo Puccini, gemeinsam mit Giuseppe Verdi der Inbegriff der italienischen Oper, war einer der größten Künstler an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert – und dazu ein Lebemann mit einem Faible für Zigarren, guten Wein, elegante Mode und schnelle Autos. Er war aber auch einer, der es seinen Mitmenschen, insbesondere denen in seiner Heimatstadt Lucca, leicht machte, ihn nicht zu mögen.

Blick auf die Stadt Lucca in Italien
Unsplash/Kateryna Senkevych
Der Blick auf Lucca, die Geburtsstadt Puccinis.

Puccinis zielstrebiges Arbeiten

Puccini war ein gefühlsbetonter Mensch mit Hang zu sinnlichen Freuden, der auch vor außerehelichen Affären keinen Halt machte. Zudem hatte er von Jugend an ein Sendungsbewusstsein, ein klares Ziel. Seit er Giuseppe Verdis Oper „Aida“ gehört und festgestellt hatte, wie viel Erfolg – auch finanziellen – dieser damit hatte, war Puccinis Lebensentwurf klar gezeichnet. Er setzte auch alles daran, dieses Ziel zu erreichen.

Betritt man heute sein Geburtshaus in Lucca, scheint es, als sei sein Leben entsprechend verlaufen und habe nur aus Erfolgen bestanden. Doch dann fällt der Blick in diesem kleinen, aber feinen Museum auf das Autograf einer Partitur der heutigen „Messa di Gloria“, die Puccini im Jahr 1878 begann und zwei Jahre später vollendete – und die in der Tat eine ganz andere Geschichte erzählt.

Puccini wächst mit der Kirchenmusik auf

Puccini stammt aus einer Familie von Kirchenmusikern. Dieser Tradition sollte der Junge folgen, doch als er fünf Jahre alt ist, stirbt sein Vater. Angeblich soll der Priester bei der Beerdigung des Vaters gesagt haben, dass der Sohn in dessen Fußstapfen zu treten habe und man von ihm Großes auf diesem Gebiet erwarte.

Seine Mutter hatte zwar Schwierigkeiten, das notwendige Geld für die Ausbildung des talentierten Sohns aufzubringen. Doch es gelang und Giacomo besuchte in Lucca das „Istituto Musicale Pacini“, ein Konservatorium, in dem Wert auf eine konservative Musikausbildung gelegt wird.

Studium der Kirchenmusik und Arbeiten an Mess-Vertonung 

Tonsatz, Harmonielehre, Kontrapunkt, Fugen – all das, was die Kirchenmusik seit Jahrhunderten geprägt hatte, stand auch hier auf dem Stundenplan. 1878, Puccini ist gerade einmal 19 Jahre alt, macht er sich an die Arbeit zu einem „Credo“, das er zunächst als selbstständiges Werk konzipiert, zwei Jahre später aber in eine vollständige Mess-Vertonung integriert.

Dieses „Credo“ zeigt, dass der junge Musiker sein Handwerk gelernt hat. Eigenwillig ist die Tonart c-Moll, eine eher feierlich-dunkle Harmonik, die Puccini mit kraftstrotzender Melodik füllt. Sein Glaubensbekenntnis drängt mit Triolen und punktiertem Rhythmus energisch vorwärts, ungestüm, bis es beim „Et incarnatus est“ in lichtes G-Dur wechselt. Hymnisch wirkt diese Vertonung der Menschwerdung des Göttlichen, bei der nun auch der solistische Tenor zum Chor tritt und einen opernhaften Gestus beisteuert.

Warum Puccinis „Credo” Vertonung schnell wieder verschwindet

Diese in Teilen weltliche Charakteristik und eine mitunter vordergründig wirkende, plastische Tonsprache führen Kritiker bis heute gegen Puccinis 45-minütige „Messa di Gloria“ an. Vielleicht liegt darin der Grund, warum das Werk trotz positiver Resonanz nach der Uraufführung in Lucca schnell wieder von der Bildfläche verschwand.

Um dieses Verschwinden ranken sich bis heute etliche Legenden. Die einen sehen konservative Geistliche am Werk, denen die Komposition zu diesseitig erschien. Andere glauben, dass Puccinis Lehrer am Konservatorium dahinterstecken: Sie sollen das Gefühl gehabt haben, ihr Schützling sei vom Pfad der musikalischen Tugend abgekommen.

Eine dritte Legende wiederum besagt, Puccini selbst habe die Partitur zurückgezogen. Fakt ist, dass er die Mess-Vertonung im Sommer 1880 als Abschlussarbeit am Konservatorium einreicht, sie dann aber trotz des Erfolgs vergessen wird und der 21-jährige Puccini danach seinem Leben eine radikale Wende gibt.

Giacomo Puccini
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Puccini wurde mit seinen Opern zum Millionär.

Puccinis Weg vom Kirchenmusiker zum Opernkomponisten

Er geht nach Mailand, studiert am Konservatorium und verfolgt nun mit großer Konsequenz und Leidenschaft den Weg zum erfolgreichen Opernkomponisten. Als er auf den einflussreichen Mailänder Verleger Giulio Ricordi trifft und dieser Puccini unter Vertrag nimmt, wendet sich das Blatt endgültig.

1884 führt er seine erste Oper „Le Villi“ in Mailand auf – mit großem Erfolg bei Publikum und Kritik. Es folgen elf weitere Opern in den nächsten 40 Jahren, die Puccini zum Millionär machen. Fortan führt er ein Leben in Luxus, wohnt in einer großen Villa in Torre del Lago mit einem eigenen Turm am Strand sowie einer großen Sammlung schneller Autos.

Leidenschaftlich, ergreifend, mitunter auch nah an der Grenze zu Sentiment und Kitsch segeln seine Bühnenwerke, die bis heute vom Publikum begeistert aufgenommen werden. In einigen dieser Opern aber lebt das Jugendwerk, die „Messa di Gloria“, weiter. Da ist zum Beispiel die fast wie ein Kinderlied anmutende Melodie des „Agnus Dei“, die Puccini in seiner Oper „Manon Lescaut“ wiederverwendet. 

Puccinis Arbeit für die Oper – von Gott gewollt

Für Puccini, diesen vielleicht theatralischsten aller Musiker, lagen das Geistliche und das Weltliche also nah beieinander – auch wenn er 1920 an Giuseppe Adami, den „Turandot“-Librettisten und Freund, schrieb: „Als ich vor vielen Jahren geboren wurde – vielen, zu vielen, fast vor einem Jahrhundert –, da stupste mich der große Gott mit dem kleinen Finger an und sagte zu mir: Schreib für das Theater, pass gut auf, nur für das Theater! Und ich habe diesen höchsten Rat befolgt.“

Am 29. November 1924 starb der Lebemann und passionierte Raucher Puccini in einem Brüsseler Krankenhaus an Kehlkopfkrebs. Gefeiert wird er vor allem wegen seiner zwölf Opern, doch er hatte auch eine kirchenmusikalische Seite.