Herr Seidel, was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Stefan Seidel: Es war die Sorge, dass wir im Zuge der Zeitenwende zu sehr und zu einseitig auf die militärische Logik setzen und uns damit abschneiden von anderen Wegen. Ich finde es gefährlich, wenn nun so umfassend und flächendeckend auf das Militärische als vermeintliches Heilmittel gesetzt wird und der Staat und die Gesellschaft auf Krieg getrimmt werden. Das ist in meinen Augen ein Rückfall in den Militarismus, dessen fataler Heilsglaube an die Waffengewalt und Stärke der eigenen Seite schon so oft in furchtbaren Kriegen widerlegt wurde. Deshalb ist es aus meiner Sicht so wichtig, sich nicht blenden zu lassen von den Versprechungen all der Waffensysteme und Waffengänge. Denn das Heil kommt nicht durch die nächste größere Wunderwaffe, sondern am Ende durch Verständigung, Vermittlung, Dialog, Kompromiss und Willen zur Koexistenz.
Wie kann das konkret funktionieren?
Stefan Seidel: Dafür muss die Gewaltspirale unterbrochen werden und Signale der Entfeindung gesendet werden. Sonst steuern wir in eine Situation, die nur Verlierer kennt. Wenn man nicht einwilligen will in das brutale Gesetz des Krieges und Gegen-Krieges, das derzeit die Opferzahlen so in die Höhe schraubt, braucht es Auswege. Ich denke, wenn der Krieg in den Köpfen beginnt, beginnt auch der Frieden in den Köpfen. Und da wäre ein erster Schritt, sich nicht immer tiefer in den Tunnelblick der Verfeindung und Gewaltlogik hineintreiben zu lassen, sondern sich zu öffnen für den anderen.
Differenzierte Positionen haben es heutzutage schwer, Gehör zu finden, werden oft sogar diffamiert. Warum leben wir inzwischen in solch einer Schwarz-Weiß-Welt?
Stefan Seidel: Ich denke, das ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Viele Menschen sind durch verschiedene Krisen und Konflikte unter starken Druck geraten. Man sieht die eigene Existenz bedroht. Die globalisierte Wirtschaft spaltet die Welt in wenige Gewinner und viele Verlierer. Und oft fühlt man sich größeren Kräften machtlos ausgeliefert. Man versteht die Welt nur noch schwer, vieles ist so unübersichtlich, komplex, verstrickt, dass man meint, nichts ausrichten zu können.
Welche Rolle spielt dabei die Angst?
Stefan Seidel: Natürlich erzeugen die kriegerischen Konflikte und grassierender Terror eine große Verunsicherung. Um das zu handhaben, sind Feindbilder auf den ersten Blick hilfreich. Sie schaffen Klarheit. Man weiß, wo man steht und wo der andere steht. Und man weiß, was man machen kann: gegen den anderen kämpfen. So kommt man in ein Handeln, das die Ohnmacht scheinbar vertreibt.