Sommerausgabe

Kirche im Schwarzwald

Vor zehn Jahren wurde das Großschutzgebiet rund um die Hornisgrinde und den Ruhestein gegründet. Genauso lang gibt es die Kirche im Nationalpark mit Angeboten, bei denen man der Schöpfung auf eine ganz besondere Art und Weise näherkommen kann. Von Andreas Steidel

runde Kapelle in der Natur
Foto: Andreas Steidel
Die Sandkapelle am Mehliskopf: Hier beginnen immer wieder spirituelle Sonntagsspaziergänge.

Ganz allmählich verschwindet der Lärm der Schwarzwaldhochstraße im Hintergrund. Immer ruhiger wird es nun. Man kann das Rauschen der Blätter hören, das Pfeifen der Vögel, das Gurgeln eines kleinen Bachlaufs. Patrick Krieg hat dazu eingeladen, dass alle nun ein Stück alleine gehen und schweigen.

Das Schweigen im Walde, es ist eine Wohltat, Balsam für die Seele, die nun mitten in der Natur zur Ruhe kommen soll. „Sonntagsspaziergang an der Sandkapelle“ heißt dieses Angebot des Netzwerks Kirche im Nationalpark. Es ist etwas ganz Unspektakuläres, Leises, Bedächtiges. Wer Kilometer machen will, ist hier an der falschen Adresse.

Edith Horcher Patrick Krieg lächeln
Foto: Andreas Steidel
Edith Horcher und Pastoral­referent Patrick Krieg von der katholischen Kirche

Patrick Krieg ist einer der Hauptamtlichen von Kirche im Nationalpark. Ein katholischer Pastoralreferent aus Baden-Baden, der einer Försterfamilie entstammt. Die urwüchsige Natur fasziniert ihn und der Gedanke, dass wir in sie eintauchen dürfen. „Dies ist ein heiliger Ort der Schöpfung“, sagt er leise und bedeutungsvoll, „und wir sind ein Teil davon.“

Der großflächige Schutz dieses Ortes der Schöpfung war lange umstritten. Schwere Auseinandersetzungen hatte es um die Ausweisung des Nationalparks im Schwarzwald gegeben, tiefe Gräben, die manchmal sogar mitten durch ganze Familien gingen.

Gerd Gauß lächelt
Foto: Andreas Steidel
Gerd Gauß von der Evangelischen Landeskirche Württemberg.

Dass mit der Eröffnung des Schutzgebietes gleich ein kirchliches Angebot enstand, hat auch mit diesen Verletzungen aus der Anfangszeit zu tun. Es ging um Versöhnung, um Trost und Perspektiven. Heute sind vier Hauptamtliche und rund 20 Ehrenamtliche tätig in einem ökumenischen Netzwerk, das die evangelischen Landeskirchen Baden und Württemberg einschließt und die katholischen Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart. Sprecher sind  Helga Klär (katholische Kirche Baden) und Diakon Gerd Gauß (Evangelische Landeskirche Württemberg).

Im Nationalpark sind konfessionelle Grenzen freilich zweitrangig. Vor dem Sonntagsspaziergang besuchte der Katholik Patrick Krieg den evangelischen Gottesdienst in der Sandkapelle. Seine Sonntagsspaziergänger kommen aus allen Glaubens- und Himmelsrichtungen, eine Herkunft wid nicht abgefragt.

Patrick Krieg hält nun wieder inne. Die Bäume und ihr Eigenleben. Jeder darf sich nun einen heraussuchen und mit ihm in Kontakt treten, seine Rinde fühlen, seine Blätter oder Nadeln spüren. Wie alt er wohl sein mag und was er schon erlebt hat? Danach stellen alle ihren Baum vor und die Gedanken, die sie sich um ihn gemacht haben.

Pilgerin Marianne
Foto: Andreas Steidel
Pilgerin ­Marianne kann in der Natur auftanken, findet Trost und Zuversicht.

Für Marianne ist die Natur eine Wohltat. Viele Krankheiten hat es in ihrer Familie gegeben, schwere Sorgen belasten ihren Alltag. „In der Natur kann ich auftanken, finde Trost und Zuversicht“, sagt sie. Regelmäßig geht sie pilgern, immer wieder auch im Nationalpark.

Der Weg führt nun durch dichten Wald zum Sandsee hinunter. Ein urprünglicher Waldweiher, in dem sich hohe Tannen spiegeln, ein Stück unverfälschter Natur – sollte man meinen. Tatsächlich ist der Sandsee ein künstliches Gewässer: der ehemalige Badeteich des mondänen Kurhotels Sand an der Schwarzwaldhochstraße.

Es ist heute eine Bauruine, vollkommen verrottet wie viele andere der alten Höhenhotels. Den See holt sich derweil die Natur zurück, gebadet werden darf hier längst nicht mehr. Ein wunderbarer Ort zum Rasten für die Sonntagsspaziergänger, von denen sich jeder nun sein eigenes Plätzchen suchen soll.

See umgeben von Tannen unter blauem Himmel mit weißen Wolken
Foto: Andreas Steidel
Der idyllische Sandsee war einst der Badeteich eines Höhen­hotels.

„Eine Spur wilder“ lautet das Motto des Nationalparks Schwarzwald. 100 Quadratkilometer ist er groß, verteilt auf zwei voneinander getrennte Areale: Die Sandkapelle liegt in seinem Norden, der größere Teil mit dem Besucherzentrum im Süden. Gerne würde man die Lücke schließen, einen Korridor für die Natur schaffen. Derzeit laufen Verhandlungen mit den Waldbesitzern.

Bis der Nationalpark wirklich eine Wildnis ist, kann es Generationen dauern. Gleichwohl findet sich rund um den Ruhestein ein alter Bannwald, der schon seit über 120 Jahren nicht mehr bewirtschaftet wird. Hier kann man den natürlichen Kreislauf der Schöpfung bereits in all seinen Facetten sehen.

Die Kirche im Nationalpark ist im Laufe der Jahre gewachsen, die Palette der Angebote riesig: Da gibt es Sonnenaufgangstouren, Abendgebete, Männerpilgern, Kreuzwege und immer wieder Gottesdienste in den Kapellen im Nationalpark.

Sowie eben die Sonntagsspaziergänge. Patrick Krieg lädt nun zu einer Andacht am See ein. Die Gruppe stellt sich auf und bewegt sich im Gleichklang seiner geistlichen Worte. Körpergebet nennt man so etwas. Das Erleben von Gottes Wort mit Leib und Seele.

Danach gehen alle wieder zurück zur Sandkapelle. Gerade mal zwei Kilometer war man unterwegs, die Wiederentdeckung der Langsamkeit und von manchem Schatz in der Natur, die man eiligen Schrittes bisher achtlos übersah.