Pflegeeltern

Mama auf Zeit – eine Pflegemutter erzählt

Sie springt ein, wenn die leiblichen Eltern nicht für ihre Kinder da sein können: Gudrun Magewirth-Niemann ist Pflegemutter. Von Judith Kubitscheck (epd)

Eine Frau liest zwei Kindern vor. Sie sitzen auf einem Sofa.
Foto: privat
Gudrun Magewirth-Niemann kümmert sich um Pflegekinder.

Das Telefon klingelt: „Wir fahren jetzt los, können wir ein Kind zu Ihnen bringen?“ Etwa zwei Stunden später stehen zwei Mitarbeiterinnen des Jugendamtes mit einem Kleinkind vor der Haustür von Familie Niemann, die im Landkreis Ludwigsburg wohnt. Das Kind wurde wegen Vernachlässigung in Obhut genommen. Nun soll es bei den Niemanns wohnen, die eine sogenannte Bereitschaftspflegefamilie sind. Dort bleibt es, bis klar ist, wie es mit dem Kind weitergeht: ob es zur leiblichen Familie zurückkann oder in eine andere Pflegefamilie oder eine Wohngruppe kommt. Fünfmal bekam Gudrun Magewirth-Niemann bereits einen solchen Anruf und wurde innerhalb kurzer Zeit für einige Monate Pflegemutter für ein Kind in Not.

Wer sich dafür interessiert, Pflegeeltern zu werden, kann sich an den Pflegekinderdienst des Jugendamts des jeweiligen Landkreises wenden.
 

So wurde Familie Niemann zur Pflegefamilie

Begonnen hat alles damit, dass das Ehepaar Niemann gemeinsam mit den sieben leiblichen Kindern 2016 beschloss, einen minderjährigen Flüchtling aufzunehmen. Eineinhalb Jahre wohnte ein 15-jähriger Afghane in der Großfamilie. Auch wenn es nicht immer einfach war, einen Teenager mit einem Kulturschock und traumatisierenden Erfahrungen in die Familie einzubinden, haben alle gemerkt, dass es erfüllend ist, jemandem eine Heimat geben zu können.

Seit sechseinhalb Jahren wohnt Dauerpflegekind Tarek (Name geändert) in der Familie. Er gehört vor allem für die zwei jüngsten leiblichen Kinder, die 17 und 18 Jahre alt sind, ganz selbstverständlich dazu:

Er kam zu uns, als er vier Jahre war, und wächst hier auf, er ist für mich nicht nur ein Pflegekind, sondern ganz klar mein Bruder

sagt der 18-jährige Elias.

Neben Tarek kümmert sich Gudrun Magewirth-Niemann derzeit um die vierjährige Katharina (Name geändert) in Bereitschaftspflege. Deren Mutter konnte nicht für das Kind sorgen, weil sie schwer psychisch krank war. „Am Anfang hatte sie Heimweh. Wir haben dann viel über die Mutter gesprochen. Dann konnte Katharina ankommen und Kind sein und sich umsorgen lassen, weil sie nicht mehr nach der Mama schauen musste“, erzählt Gudrun Magewirth-Niemann.

Was machen Pflegeeltern

Ihre Aufgabe sieht die 58-Jährige in den ersten Tagen vor allem darin, den Kindern Sicherheit und eine geregelte Tagesstruktur zu geben. Auch wenn die Bereitschaftspflegekinder nur ein paar Monate bei den Niemanns wohnen, ist für die Mutter klar: Sie sind Teil der Familie.

Ich erkläre ihnen, dass ich hier im Haus die Mama bin und sie mich auch gerne so nennen dürfen. Das hilft ihnen meist, sich einzufinden. Aber ich vermittle ihnen auch, dass sie leibliche Eltern haben, die wir respektieren.

sagt Gudrun Magewith-Niemann

Da die Kinder viel erlebt haben, ist es wichtig, sensibel auf ihre Bedürfnisse einzugehen. „Wir waren mit Tarek auf dem Weg ins Kindertheater, die Stadtbahn fuhr ein, und ich nahm ihn an die Hand, um loszulaufen“, erzählt die Pflegemutter. „Plötzlich fing er an zu weinen und sagte, er hätte Angst. Da wurde mir klar: Der Junge hat Fluchterfahrung. Immer wenn ihn jemand an die Hand nahm und rannte, war er wahrscheinlich in großer Gefahr. In diesem Moment waren Kindertheater und Stadtbahn nicht mehr wichtig, sondern dass er sich wieder regulieren konnte und wohlfühlte.“

Wenn ein Kind weiterzieht, organisiert Magewirth-Niemann ein Abschiedsfest. Oft fließen dann auch Tränen – auf beiden Seiten. „Selbst wenn die Kinder nur eine Weile da sind, lasse ich mich emotional auf sie ein. Ich kann und will sie nicht auf Sparflamme betreuen.“ Auch wenn es immer wieder herausfordernd sein kann und sie auch an ihre Grenzen kommt, kann sich die überzeugte Christin für sich nichts Besseres vorstellen, als „Mama“ zu sein für ihre Pflegekinder.

So durfte sie bei Tarek erleben, wie er einen riesigen Entwicklungssprung machte: Er fing an zu reden und nahm Kontakt zu anderen Kindern auf. Deshalb ist es ihr ein Anliegen, andere Menschen zu ermutigen, sich zu überlegen, ob sie nicht auch ein Kind in ihrer Familie aufnehmen wollen.

Es ist unheimlich schön, ein Kind ein Stück begleitet und ihm etwas mitgegeben zu haben in dem Moment, wo es das am meisten gebraucht hat.

sagt Gudrun Magewith-Niemann