Bundestagswahl

Menschen mit Behinderung für die Bundestagswahl fit machen

Damit Menschen mit Behinderung ihr Wahlrecht nutzen können, bekommen sie Unterstützung – und zwar von Eric Simon. Der ihnen grundlegende Fragen beantwortet. Von Achim Stadelmaier

Kristjan Zweigert sitzt im Rollstuhl
Foto: Achim Stadelmaier
Kristjan Zweigert freut sich aufs Wählen gehen.
Eric Simon trägt ein blaues Hemd und eine Jeanshose
Foto: Achim Stadelmaier
Eric Simon ist Politikwissenschaftler und spricht mit Menschen mit Behinderung über die Bundestagswahl.

Wir müssen es Menschen mit Behinderung so leicht wie möglich machen, am politischen Prozess teilzunehmen

sagt Eric Simon

Deshalb ist der Politikwissenschaftler Eric Simon zu einem Infoabend in eine Wohngruppe einer diakonischen Einrichtung gekommen. Etwa zehn Menschen mit einer geistigen Behinderung wollen sich hier über die Wahl informieren und sich austauschen. Die meisten leben im betreuten Wohnen des diakonischen Trägers „Atrio“ in Weil der Stadt und Leonberg.

Eric Simon beantwortet Fragen rund um die Wahl

Es geht um grundlegende Fragen: Warum gibt es eine Wahl, wie wähle ich, wer kandidiert in meinem Wahlkreis? Auf die Frage, was der Bundestag macht, schallt es aus der Runde: „Streiten!“ Inklusion hört für Referent Eric Simon nicht beim Wahlrecht auf. „Als Mehrheitsgesellschaft haben wir eine Bringschuld“, sagt er. „Menschen mit Beeinträchtigungen tun sich oft schwer, sich selbstständig Informationen zu beschaffen. Aber natürlich gibt es auch in dieser Gruppe Menschen mit großen Unterschieden.“

Michael Müller macht das Zeichen "Daumen hoch"
Foto: Achim Stadelmaier
Michael Müller fährt am Wahlwochenende nach Berlin.

Welche Themen sind wahlentscheidend

Das zeigt sich auch an diesem Abend: Manche hören zu, äußern sich kaum. Andere bringen viel Vorwissen mit und haben bereits konkrete Vorstellungen davon, welche Themen für ihre Wahlentscheidung wichtig sind: „Inklusion, Gerechtigkeit, Demokratie“, diese Dinge treiben Michael Müller um.

Mir ist es sehr wichtig zu wählen. Was manche Parteien machen wollen, ist nicht richtig

sagt Michael Müller

Namen will er nicht nennen, aber es ist klar: ­Michael ist kein Freund der AfD. Neulich war er auf einer Demo gegen Rechts. Er hat Briefwahl beantragt. Am Wahlwochenende wird er mit anderen aus der Gruppe nach Berlin reisen – auf Einladung der SPD-Kandidatin im Wahlkreis. „Ich freue mich schon sehr auf den Bundestag.“

Erica Dehm
Foto: Achim Stadelmaier
Nicht wählen ist für Erica Dehm keine Option.

Gemeinsamer Ausflug ins Wahllokal

Für alle, die nicht per Briefwahl wählen, organisiert Mitarbeiterin Rebekka Pälmer am Wahltag einen gemeinsamen Ausflug zum Wahllokal. Dieses Angebot wird auch Erika Dehm nutzen. „Viele sagen, das mit der Wahl interessiert mich nicht, aber es ist wichtig!“ Sie hofft, dass sich Parteien für die Interessen von Menschen mit Behinderung einsetzen. „Als Behinderter hat man es nicht immer einfach.“ Ob das nach der Wahl besser wird? Erika ist sich unsicher, aber nicht zu wählen ist für sie keine Option. „Das gehört sich einfach”, sagt sie.

Mehr Beteiligung für Menschen mit Behinderung

Nach wie vor seien nicht alle Wahllokale ausreichend barrierefrei, sagt Eric Simon: „Da müssen wir noch mehr tun.“ Als Beispiel nennt er Orientierungslinien auf dem Boden, die es sehbehinderten Menschen erleichtern, sich zurecht zu finden. „An solchen Dingen zeigt sich, ob die Gesellschaft ein wirkliches Interesse hat, dass Menschen mit Beeinträchtigungen sich beteiligen können“, findet der Politikwissenschaftler. Haben Menschen mit Behinderung eine Lobby in Berlin? „Ja“, erwidert Eric Simon und dennoch:

Inklusion und andere soziale Themen spielen bei der Wahl keine große Rolle

sagt Eric Simon

Kristjan Zweigert ist ebenfalls der Meinung, dass mehr getan werden müsste für Rollstuhlfahrer wie ihn. Auch deshalb freut er sich darauf, seine Kreuzchen zu setzen. „Wenn ich nicht wähle, wird meine Stimme ja jemand anderem gegeben.“

Dürfen alle Menschen mit Behinderung wählen?

Am 15. März 2019 hat der Bundestag auf Druck des Bundesverfassungsgerichtes ein inklusives Wahlrecht beschlossen. Die Karlsruher Richter hatten geurteilt, dass Menschen, die in allen Angelegenheiten auf eine gerichtlich bestellte Betreuung angewiesen sind, nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden dürfen – das betrifft etwa 80 000 Menschen in Deutschland. Ausnahmen gebe es bei Menschen, deren Willensbildung so weit reduziert ist, dass sie ihr Wahlrecht nicht mehr ausüben können, erklärt Eric Simon. Letztlich werde im Einzelfall entschieden.

Auch eine Beeinflussung durch Betreuer sei nicht ausgeschlossen, „weil Menschen mit einer Behinderung oft in einer gewissen Abhängigkeit von anderen stehen“, sagt Eric Simon. Doch auch wenn es in Einzelfällen Probleme mit der Wahlfreiheit geben könne, wiege viel schwerer, dass auch Menschen mit Behinderung an der Wahl teilnehmen können.

Eine Wahl ist für alle da!

sagt Eric Simon