Reichspogromnacht

Mit der VR-Brille in die NS-Zeit blicken

In einem neuen Virtual-Reality-Projekt führt ein Avatar von Charlotte Knobloch durch München während der Pogromnacht 1938. Schülerinnen und Schüler haben das Projekt getestet. Von Christiane Ried (epd)

Junger Mann mit Virtual-Reality Brille, im Hintergrund ist ein großes Bild von Charlotte Knobloch zu sehen.
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Olivier (17) mit der VR-Brille während dem Virtual Reality-Projekt "Inside Pogromnacht".
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Fragen werden über einen Laptop gestellt.

Geduldig lächelt die 92-jährige Charlotte Knobloch, in einem weißen Sessel sitzend und im roten Kostüm, von der Klassenzimmer-Wand herab – und wartet auf eine Frage. „Was ist Antisemitismus?“, tippt ein Mädchen in ihren Laptop. „Reiner Judenhass“, beginnt Charlotte Knobloch zu sprechen. Ein Junge steht mit VR-Brille und murmelt immer wieder „Krass, Alter!“ vor sich hin. Der Geschichtskurs der zwölften Klasse im städtischen St.-Anna-Gymnasium in München hat es in dieser Schulstunde mit einer virtuellen Charlotte Knobloch zu tun.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern teilt als Avatar ihre Erinnerungen an die Reichspogromnacht 1938, die sie als kleines Mädchen erlebt hat, führt die Schülerinnen und Schüler durchs damalige München und erzählt, wie sie – als uneheliches Kind einer katholischen Frau in Franken getarnt – die NS-Zeit überlebt hat.

Auf einer Leinwand ist die Holocuast-Überlebende Charlotte Knobloch in einem Sessel sitzend zu sehen.
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Charlotte Knobloch beantwortet virtuell Fragen zum Holocaust.

Wer Charlotte Knobloch überhaupt ist, wissen hier im Geschichtskurs nicht alle. Die jungen Leute sind 16 oder 17 Jahre alt. „Ist sehr interessant und sehr gut gemacht“, sagt Medi zu dem Virtual-Reality-Projekt mit dem Titel „Inside Pogromnacht“. Vieles wisse er schon vom Geschichtsunterricht, aber ein „Rundgang“ mit VR-Brille sei schon nochmal etwas anderes. Es sei das erste Mal, dass er direkt mit einem NS-Zeitzeugen zu tun habe – wenn auch nur in virtueller Form, sagt Olivier. Für ihn habe es sich angefühlt, als spreche da ein echter Mensch zu ihm.

Schwindende Zahl an Zeitzeugen erfordert Innovation

Die Tatsache, dass es in naher Zukunft keine NS-Zeitzeugen mehr gibt, war einer der Gründe, warum die Claims Conference (New York), die seit 1951 die Interessen von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus vertritt, das Projekt „Inside Pogromnacht“ ins Leben gerufen hat.

Der europäische Claims-Conference-Vertreter Rüdiger Mahlo sagte bei der Präsentation in München, er sehe die Begegnung mit virtuellen Zeitzeugen wie Charlotte Knobloch als eine „emotionalisierte Form“, künftige Generationen an das Thema heranzuführen. Das St.-Anna-Gymnasium sei die erste Schule weltweit, die das Projekt testen dürfe.

Emotionen der jungen Charlotte Knobloch erleben

Währenddessen spricht erneut die virtuelle Charlotte Knobloch. Sie erzählt von dem Moment, in dem sie während der Pogromnacht am 9. November 1938 die alte Ohel-Jakob-Synagoge in der Münchner Innenstadt gesehen hat, die die Nationalsozialisten in Brand gesteckt hatten. „Warum kommt denn nicht die Feuerwehr“, habe sie sich als kleines Mädchen damals gefragt. Sie habe damals auch nicht verstanden, was überhaupt Juden seien.

Sie habe bis heute ein „ungutes Gefühl“, wenn sie das Wort „Jude“ höre, fühle sich immer noch ausgestoßen, erzählt sie. Überlebt habe sie die NS-Zeit nur, weil ihr Vater sie in die Obhut von Zenzi gegeben habe, der katholischen Haushälterin ihres Onkels, die auf einem Bauernhof in Mittelfranken lebte. Sie sei dort als ihr uneheliches Kind ausgegeben worden. Fortan habe sie sich Lotte Hummel nennen müssen.

Zwei Schülerinnen unterhalten sich. Im Hintergrund steht ein Schüler, der eine VR-Brille trägt.
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Für Pamina (17) und Anastasia (17, v.l.) ist es wichtig, dass die NS-Zeit nicht in Vergessenheit gerät.

VR-Projekt ist wie eine Zeitreise

Sie finden das Projekt „richtig cool“, weil es wie eine Zeitreise sei, sagen Anastasia und Pamina. Charlotte Knobloch kennen die beiden 17-jährigen Mädchen. Sie seien im vergangenen Jahr in der neuen Ohel-Jakob-Synage gewesen und hätten dort viel über Knoblochs Leben erfahren. Es sei wichtig, dass die NS-Zeit nicht in Vergessenheit gerate – vor allem nicht in der jungen Generation, in der manchmal in „respektloser Weise“ über die Opfer der NS-Zeit geredet werde, sagen die zwei.

Damit die Schüler von Knoblochs Avatar auf ihre Fragen die passende Antwort erhalten, musste die echte Charlotte Knobloch mehrere Tage lang rund 1000 Fragen auf Deutsch und auf Englisch beantworten. Die Künstliche Intelligenz setzt dann aus diesem Pool die passende Antwort zusammen – und die virtuelle Charlotte Knobloch beginnt zu erzählen.