Aus der Kirche

Norbert Collmar: „Wir lernen voneinander”

17 Jahre lang war Norbert Collmar Rektor der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg. Im Gespräch mit Antje Schmitz erläutert der Professor, auf welche Weise die Hochschule in Kirche und Gesellschaft verankert ist. Von Antje Schmitz

Norbert Collmar steht in einem grauen Treppenhaus
Pressebild
Norbert ­Collmar ist bis zum 31. August 2024 ­Rektor der ­Evangelischen Hochschule Ludwigsburg.

Herr Collmar, Sie sind seit 1995 an der Hochschule. Sind die jungen Leute heute anders als damals?

Norbert Collmar: Die Studierendenschaft hat sich schon verändert. Themen wie Ökologie, wofür sich die Studierenden in den 1990er-Jahren eingesetzt haben, sind heute gesellschaftlicher Mainstream. Religiös herrscht heute mehr Individualität. Bei den Diakoninnen und Diakonen haben wir Studierende mit einer charismatisch geprägten Frömmigkeit und solche aus dem klassischen Pietismus und Liberale. Viele haben eine klassische volkskirchliche Biografie, die waren in der Kinderkirche, haben selbst Jugendarbeit gemacht und wollen dort hauptberuflich weitermachen. In den sozialen Studiengängen haben wir auch Katholiken, Muslimas, Zugewanderte und Menschen ohne religiöse oder konfessionelle Bindung, also Konfessionslose – ein schwieriges Wort. Die Studierendenschaft ist deutlich individueller geworden, was für die Landeskirche eine große Chance ist. Wir behandeln in jedem Studiengang auch ethische und theologische Themen und können unsere kirchlichen Wertvorstellungen in die Diskussionen einbringen. Wir bieten auf fachlicher Ebene eine wichtige Begegnungsfläche zwischen jungen Erwachsenen und Kirche.

Ist es schwieriger geworden, Lehre und Forschung zu betreiben?

Norbert Collmar: Wir verstehen Heterogenität als Chance, nicht als Belastung. Wir wollen allen Studentinnen und Studenten gerecht werden. Wenn man unterschiedliche Positionen nimmt und die didaktisch gut in ein Seminar einbaut, dann ergeben sich Diskussionen, aber das ist ja auch wichtig. Wir lernen stark voneinander. Auch ich lerne immer noch in den Seminaren. Forschung ist einfacher, da die Hochschule viele Forschungsanfragen aus Diakonie und Kirche, sozialen und pädagogischen Anbietern erhält.

Studiengänge und weitere Informationen gibt es auf der Website der Evangelischen Hochschule.

Auf wen reagiert die Hochschule mit ihren Angeboten? Auf das, was die Gesellschaft braucht, oder auf das, was die Landeskirche braucht?

Norbert Collmar: Wir nehmen die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hier sehr sensibel wahr und entwickeln unser Angebot auch aus gesellschaftlichen Aufgaben heraus. Wir sind 2007 mit dem Studiengang „Bildung und Erziehung im Kindesalter“ gestartet. Er geht auf die Pisa-Debatte zurück, als man gemerkt hat, dass Bildung bei den Kleinen anfängt. Wir müssen Kitas noch stärker als Bildungseinrichtungen wahrnehmen. Das zweite große Thema war Inklusion, da kam die Anregung von der Diakonie und von der Kirche. 2011 haben wir den Studiengang „Inklusive Pädagogik und Heilpädagogik“ eröffnet. Wir brauchen Inklusion im Kindergarten, wir brauchen Inklusion parallel zur Schule, zum Beispiel im Konfirmandenunterricht oder im Verein. Wir brauchen Inklusion nach der Schulzeit, also im Beruf oder durch Alltagsstruktur. Diakonische Einrichtungen brauchen Konzepte und Forschung, wie sie ihre Einrichtungen inklusiver gestalten und dezentralisieren können. Dann haben wir den Bereich der Pflege, da kam die Anregung auch von der Diakonie, dass wir einen Studiengang brauchen, mit dem wir die Pflege auf der Station in den Mittelpunkt rücken. Wir haben also stark auf gesellschaftliche Themen reagiert.

Und im kirchlichen Bereich?

Norbert Collmar: Da haben wir in einem Studiengang die Jugendarbeit verstärkt, der Bachelor „Religionspädagogik“ heißt jetzt Bachelor „Religions- und Gemeindepädagogik“. Der dazugehörige Masterstudiengang qualifiziert für den Religionsunterricht an Berufsschulen oder für herausgehobene Aufgaben der Gemeindepädagogik. Auch das Thema „Interreligiöses“ ist wichtiger geworden, zum Beispiel im Studiengang für die Kitas. Es sind nicht nur christliche Kinder da, sondern auch muslimische, vereinzelt jüdische Kinder und viele, deren Familien keine religiöse Orientierung haben.

Vermitteln Sie im Studium christliche Werte?

Norbert Collmar: Wir möchten eine diskursive Auseinandersetzung mit christlicher Tradition führen, das heißt, die Studierenden setzen sich mit ethischen oder religionspädagogischen Fragen auseinander. Wir machen keine Mission, sondern religiöse Bildung. Wenn die Inhalte innerlich überzeugen, ist es natürlich super!

Wenn Sie sich einen neuen Studiengang wünschen könnten, welcher wäre das?

Norbert Collmar: Da fallen mir gleich mehrere ein. Zunächst hätte ich den Wunsch, dass die bisherigen Studiengänge gut weitergeführt werden können. Der Studiengang „Soziale Arbeit“ ist ein generalistischer Studiengang, der im Sozialwesen in verschiedenen Bereichen eine hohe Akzeptanz hat. Oder der Studiengang „Religions- und Gemeindepädagogik“. Absolventen können Religionsunterricht geben, mit Jugendlichen oder als Gemeindediakoninnen arbeiten. Wo ich noch Chancen sehe, ist im Bereich der Gesundheitsberufe, der Psychotherapie. Das Thema Einsamkeit – nicht nur bei älteren, sondern auch bei jungen Menschen – beschäftigt uns auch. Das ist eine Querschnittsaufgabe für die verschiedenen Studiengänge. Da sehe ich Handlungsbedarf.

Studierende in einem Treppenhaus der Ev. Hochschule Ludwigsburg
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Studierende an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg sollen sich einmischen, sagt Norbert Collmar.

Welcher Teil Ihrer Aufgabe hat Ihnen besonders Freude bereitet?

Norbert Collmar: Die Lehre, die Arbeit mit jungen Leuten finde ich erfüllend, aber auch die Ausrichtung der Hochschule im Rahmen der gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklung, Prozesse anzustoßen, die die Hochschule verändern. Wir sind stark in der Gesellschaft verankert. Diversität, von der wir sprachen, auch die Migrationsdebatte sind für uns wichtig.

Und welchen Tipp möchten Sie den Studierenden geben?

Norbert Collmar: Mischen Sie sich ein! Bringen Sie sich in den Seminaren ein und im AStA, dem Allgemeinen Studierendenausschuss. Engagieren Sie sich in unserer Gesellschaft und in der Kirche. Verteidigen Sie die Demokratie.