Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz zum 80. Mal. Einer der ersten Häftlinge, die dort interniert wurden, war Otto Küsel. „Ein unbekannter Held”, wie ihn Sebastian Christ aus Berlin bezeichnet. Küsel rettete Hunderten Polen das Leben. „Er war ein freiheitsliebender Mensch, lebte als Straßenhändler in Berlin und geriet im Zuge der Weltwirtschaftskrise auf die schiefe Bahn. Er wurde mehrfach verurteilt, aller Wahrscheinlichkeit nach wegen Diebstahls. Deswegen war er 1937 als sogenannter 'Berufsverbrecher' in das Konzentrationslager Sachsenhausen gekommen”, sagt der Journalist Christ, der zwei Jahrzehnte auf Küsels Spuren forschte.
In Sachsenhausen wurde Küsel drei Jahre später auf Befehl des späteren Lagerkommandanten Rudolf Höß als einer der ersten 30 Häftlinge für das Konzentrationslager Auschwitz ausgewählt. Die 30 Häftlinge sollten als „Kapos” dienen. In der Hierarchie standen sie zwischen den SS-Mannschaften und den übrigen Häftlingen.
Verschiedene Aufgaben wurden an die Kapos delegiert, die dafür Privilegien erhielten, wie beispielsweise Sonderrationen beim Essen oder eine bessere Unterkunft. Diese Annehmlichkeiten sollten sie zu einem möglichst brutalen Umgang mit ihren Mithäftlingen anstacheln. „Die meisten der ersten 30 Häftlinge in Auschwitz folgten der Logik dieses Systems und wurden zu Sadisten. Doch Otto war anders”, schreibt Christ in seinem aufwendig recherchierten Buch „Auschwitz-Häftling Nr. 2”, das im wbg-Theiss-Verlag (Freiburg) erschienen ist.
Als „Arbeitsdienst” sollte Küsel der SS dabei helfen, die Häftlinge durch Arbeit zu vernichten. Er sollte die Arbeiten im Lager so verteilen, dass möglichst viele dadurch umkamen. Doch er tat genau das Gegenteil: Kranke und geschwächte Häftlinge schickte er zu leichten Tätigkeiten wie Kartoffelschälen und unterstützte den polnischen Lagerwiderstand, indem er half, Informationen über die Situation im Lager nach außen zu schleusen. Fluchtwillige bekamen von ihm Tätigkeiten, die ein Entkommen aus Auschwitz vereinfachten, etwa Posten außerhalb des Lagers.
Otto Küsel wagte einen gefährlichen Spagat: Er hatte Befehlen zu folgen und musste auch die harten Arbeitskommandos besetzen. Aber er nutzte seine Spielräume. „Sein Widerstand war so subtil, dass die SS ihm nicht auf die Schliche kam. Gleichzeitig war diese Form des Widerstands jedoch auch ungemein wirksam, wie viele Berichte von Auschwitzüberlebenden belegen”, sagt Christ.