Paolo Ricca schien nie müde zu werden. Noch im hohen Alter konnte man ihn für Vorträge und Predigten gewinnen – auch in Württemberg. Unvergesslich ist die Leidenschaft seiner Rede. Was er sagte, kam von Herzen. „Es gibt noch eine Hoffnung für Rom“ – mit dieser klaren Ansage eröffnete er zum Reformationsfest im Ulmer Münster im Jahr 2007 seine Predigt zu Römer 1, 16f. Kein Wunder also, dass die Nachricht von seinem Tod am 14. August 2024 nicht nur in Rom und Italien, sondern auch hierzulande Betroffenheit und Trauer ausgelöst hat.
Dankbar erinnern wir uns an einen Menschen, der uns einschärfte, dass die reformatorischen Bewegung, zu der auch seine Heimatkirche, die Kirche der Waldenser gehörte, nicht eine Reform der Kirche im Sinn hatte, sondern auf nichts weniger als auf die Neubegründung der Kirche zielte. „Das Leben der Kirche mit Substanz füllen“ – das bedeutet nach Paolo Ricca, die Kirche wieder mit dem Wort Gottes, mit dem Evangelium zu füllen. Denn Kirche ist nicht Selbstzweck, sondern hat mit aller Leidenschaft Gott zu dienen.
Die innere Verunsicherung über die eigene Sache beschäftigte Paolo Ricca und er sah sie als Ursache der Krise der Kirche. „Als ob evangelisch sein überholt, veraltet oder zwecklos wäre“, sagte er in einem Interview aus dem Jahr 2012 aus Anlass seines Hauptvortrags vor der württembergischen Landessynode in Balingen. Begegnen könne man dieser Verunsicherung, dieser „geistlichen Krankheit“, nur im Gebet.
Konzentration auf Gott. Er gibt uns Sicherheit und Halt. Wenn man nicht fest auf ihn baut, wackelt alles.
Paolo Ricca darüber was Beten für ihn bedeutet
Hellsichtig und präzise beschrieb Paolo Ricca die Phänomene der Säkularisierung als eine Weltanschauung, „wo Gott keinen Platz findet, weil der Menschen den ganzen Raum in Anspruch nimmt“. Mutig und entschlossen stellte er sich der Religionskritik der Moderne. „Was ist evangelisch?“, fragte er und gab als Antwort, die weiterhin des Nachdenkens und Meditierens wert ist:
Evangelisch ist, die Menschlichkeit Jesu so zu bezeugen, dass der säkularisierte Mensch seine wahre und vielfach vergessene, ja immer wieder zertretene Menschlichkeit in ihm wieder finden kann, … Evangelisch ist, in die Fußstapfen der Menschlichkeit Jesu zu treten.
sagte Paolo Ricca
Als einer der Autoren der Leuenberger Konkordie hat Paolo Ricca maßgeblich zur Selbstverständigung des Protestantismus beigetragen und die innerevangelische Ökumene vorangebracht. Das Stichwort von der „versöhnten Verschiedenheit“, die Unterschiede aushalten kann, weil sie im Gebet und im Hören auf Gottes Wort ihren Grund hat, ist bis heute leitend. In unserer Zeit der zugespitzten Identitätsdebatten ist und bleibt Leuenberg ein wichtiges Korrektiv!
Paolo Ricca wurde am 19. Januar in Torre Pellice geboren. Nach dem Abitur in Florenz studierte er Theologie an der Theologischen Fakultät der Waldenser in Rom, in den USA und in Basel. In Basel wurde er mit einer Arbeit über die Lehre von der Endzeit im Johannes-Evangeliums promoviert. Er lehrte an der Fakultät der Waldenserkirche, war fünfzehn Jahre lang Mitglied in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Genf. Zwei Amtszeiten lang war er Präsident der Bibelgesellschaft in Italien und machte sich als Herausgeber von Luthers Werken in italienischer Sprache verdient.
Gabriele Wulz ist Prälatin in Ulm und Vorsitzende des Gustav-Adolf-Werks Württemberg.