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Schlaf und Glauben

Schlaf als Gabe Gottes: Ein Blick in die Bibel

Schlaf, Träume und Schlaflosigkeit sind häufig Bestandteil biblischer Erzählungen, etwa als Gabe Gottes. Die Bibel fordert aber auch zum Wachsein auf. Von Kirsten Fehrs

Ein kleiner Junge liegt auf dem Bett und liest in der Bibel
Unsplash/Samantha Sophia
Die Bibel fordert Menschen zur Wachheit auf.

Sind Sie eine „Eule“ oder eine „Lerche“? Menschen müssen schlafen, wie auch Tiere. Der Schöpfer hat es so vorgesehen – auch er selbst ruhte am siebten Tag seiner Schöpfung, selbst wenn dort von Schlaf keine Rede ist.

Bewertung von Schlaf in der Gesellschaft

Dennoch haben wir ein seltsames Verhältnis zum Schlaf. Einerseits klagen viele Menschen über Schlafprobleme. Auf der anderen Seite wird der Schlaf immer wieder abgewertet. Er muss zurückstehen, wenn die Arbeit ruft. Lange schlafen ist ein Zeichen von Faulheit, und wer abends früh zu Bett geht, gilt als Spaßbremse und Spielverderber. In der Bibel gibt es beides: die Abwertung und das Lob des Schlafes.

Bibel fordert zur Wachheit und Wachsamkeit auf

„Liebe den Schlaf nicht, dass du nicht arm wirst; lass deine Augen offen sein, so wirst du Brot genug haben“, heißt es etwa in Sprüche 20,13. Auch in den Evangelien wird Wachheit gefordert angesichts des nahenden Gottesreiches: „Seid wachsam“ (Matthäus 25). Über die Jünger seufzt Jesus: „Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?“ (Matthäus 26). Bei Paulus ist der Schlaf ein Bild für Gottesferne, die zu überwinden ist: „So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein“ (1. Thessalonicher 5,6).

Träumen, um in eine andere Welt einzutauchen

Dabei kommt das Problem Schlaflosigkeit in der Bibel vor: „In derselben Nacht konnte der König nicht schlafen und ließ sich das Buch mit den täglichen Meldungen bringen“ (Ester 6,1).

Der Schlaf ist wichtig, weil er der Zustand ist, in dem wir träumen – am eindrücklichsten beschrieben in 1. Mose 37 und 41 mit den Träumen des Josef. Der Schlaf ist Voraussetzung, um mit einer anderen Welt in Kontakt zu kommen, ja, um Gott zu begegnen wie etwa Salomo (1. Könige 3,5).

Der Schlaf ist auch ein Bild für den Tod, wie wir es etwa in 2. Samuel 7,12 lesen: „Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst …“ Das lebt fort, wenn wir von „entschlafen“ sprechen oder sagen: „Oma ist friedlich eingeschlafen.“

Völlige Hingabe an Gott

Es gibt die starken Bilder des Schlafes als völlige Hingabe an Gott. Psalm 4,9 besingt die Geborgenheit im Schlaf: „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn allein du, Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne.“ In Psalm 127 finden wir das stärkste Bild des Schlafes:

Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.

Psalm 127,1-2

Diesen Satz darf man nicht umdrehen, nach dem Motto: „Wer viel schläft, wird Gottes Freund.“ Es ist andersherum: Mangelndes Vertrauen auf Gott kann durch noch so viel Wachheit und Aktivität nicht ausgeglichen werden.

Zur Autorin: Kirsten Fehrs

Kirsten Fehrs ist

  • Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Hamburg
  • Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD)

Jesus schläft in vielen Situationen fest

Deswegen schläft Jesus selbst ganz menschlich, tief und fest, sogar in Extremsituationen: als Krippenkind in Windeln, in einer alles andere als hygienischen und Ruhe fördernden Umgebung. Später als Erwachsener sogar in Sturm und Unwetter. Er liegt auf dem Kissen und bedroht, als er aufgewacht ist, den Sturm. Es gehört nach biblischer Auffassung zum wahren Menschsein dazu, gut schlafen zu können. Denn im Schlaf können die irdischen Bedrohungen und Drangsale uns nichts anhaben.

Schlaf ist eine gute Gabe und ein Segen Gottes. Er ist aber ebenso wenig Selbstzweck wie die Wachheit. Ich möchte daher den Blick auf den Übergang richten: Das Erwachen zur richtigen Zeit. Den wenn ich schlafe, bin ich nur auf mich selbst bezogen, mit all meinen Impulsen, Triebwünschen, Fantasien und Träumen. Wenn wir die Augen aufmachen, entdecken wir, dass wir nicht allein sind auf der Welt. Die Wirklichkeit drängt sich uns von selbst auf und befreit uns aus unserer Vereinzelung: Wir sehen wieder, was wirklich der Fall ist.

Nach dem Erwachen in die Welt hinaus gehen

Dieses Erwachen wiederholt sich jeden Morgen. Und nicht immer ist es leicht, sich auf die Realität einzulassen, von der Dunkelheit ins Licht zu treten. Vielleicht hilft der Morgensegen von Martin Luther: „Des Morgens, so du aus dem Bette fährst, sollst du dich segnen mit dem heiligen Kreuz und sagen: Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist ...“ Es folgen Glaubensbekenntnis, Vaterunser und Morgensegen: „Und alsdann mit Freuden an dein Werk gegangen und etwa ein Lied gesungen.“

In den Tag hinausgehen und sich dem stellen, was er bringt – ob das gelingt, liegt auch an dem Vorzeichen, unter das der Tag gestellt wird. Zu sehen, was wirklich der Fall ist, wie es uns jeden Morgen aufs Neue zugemutet wird, heißt aus christlicher Sicht auch, das Wirken Gottes wahrzunehmen. „All’ Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu“ – wer so erwacht, kann sich aufschwingen zu einem wachen Rea­litätsbewusstsein, das den christlichen Glauben auszeichnet. Dabei ist ein ruhiger und erholsamer Schlaf – in ausreichender Menge – vorausgesetzt.

Dass Gott nicht schläft, hilft dabei. Gott sieht alles, was auf seiner Erde geschieht. Er bleibt wach, träumt auch nicht; denn alle Wahrnehmung ist seine Schöpfung:

Siehe der Hüter Israels schläft und schlummert nicht .

Psalm 121,4