Wahrheit oder Lüge

Schwaben sind „hehlenga“

Wer nicht aus Württemberg kommt, sich dort aber aufhält, traut manchmal seinen Ohren nicht. Denn irgendwann läuft ihm oder ihr das Wörtchen „hehlenga“ über den Weg. Was damit gemeint ist und woher das Wort kommt. Von Jürgen Kaiser

Illustration: Uli Gleis

Schwaben sind hehlenga reich, aber verärgert, wenn man sie deshalb für arm halten würde. Ein seltsamer Widerspruch. Aber genau darin ist das Wesen der Schwaben verborgen. Der Begriff „hehlenga“ ist sozusagen die DNA des Schwabeseins.

Genauer: Es ist die DNA der evangelischen Schwaben aus dem alten Herzogtum, dem schwäbischen Stammland. Diese Beobachtungen gelten nicht für Oberschwaben, ehemalige Freie Reichsstädte und Vorderösterreich. Also das Gebiet südlich von Tübingen bis an den Bodensee, das bis 1806 zu Vorderösterreich gehörte und von Freiburg aus regiert wurde. Allein die herzoglich evangelischen Schwäbinnen und Schwaben sind gemeint.

Das "lutherische Spanien"

Für sie galt ab 1559 die Allgemeine Schulpflicht auf Kosten des Staates, bezahlt aus vordem katholischem Besitz. Die Schwaben konnten fast 150 Jahre vor allen anderen Deutschen rechnen, schreiben und lesen. Für sie galt auch das Realteil-Erbrecht. Alles wurde gerecht verteilt, sogar Frauen konnten in Schwaben erben – aber es wurde immer weniger und weniger. Dazu kam ab 1607 eine so strenge Kirchenzucht, dass Schwaben schon bald das „lutherische Spanien“ genannt wurde. Ein Gruß an die Inquisition. Die Nachbarschaft wachte über Zucht und Ordnung. Es galten strenge Lebensregeln für das tägliche Leben, wer sie missachtete, wurde bestraft. Wer die Nachbarn anzeigte, erhielt eine Belohnung in bar. Überwachung lohnte sich. Die Schwaben hörten nach außen hin auf zu leben, stellten die Sprache um auf das Schweigen („I denk mei Sach!“ –„Net g’schompfa isch g’lobt g’nug!“).

Täuschen und Tarnen

Die Schwaben wurden deshalb extrem misstrauisch. Das galt nicht nur für die Sprache, sondern auch für das Sozialverhalten. Saß im Wirtshaus an jedem Tisch nur einer, galt die Wirtsstube als voll. An fremde Tische setzt man sich nicht. Miteinander geredet wurde auch nicht. Und wenn doch geredet wurde, war Tarnen und Täuschen angesagt, um erst einmal herauszubekommen, wie das Gegenüber tickte. So wurde entweder maßlos unter- oder übertrieben: „Als ich das g’hört han, bin ich g’roifelt wiad Sau, Zong ist mir rausg’hängt, aber ich haus no erwischt“ – ein Sonderangebot beim Discounter. Oder: „Jetzt wo des saischt: Ja, i han g’eerbt. A Wies amma Hang, a Häusle stoht druf, m’r ka drom rom laufe. M’r kommt aber bloss mit Staffla na“eine Villa auf dem Killesberg.

Deshalb wurde der Schwabe „hehlenga“. Erst mal das Gegenüber abchecken. Nicht gleich alles verraten. Ganz bescheiden tun.

Hehlenga ist Lebensart

Hehlenga wird immer mit „heimlich“ übersetzt. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. In hehlenga steckt ein altes Wort aus dem Stauferdeutsch des Mittelalters. Wir kennen es nur noch in einem Halbsatz: Er/sie machte kein Hehl draus. Hehl war das Stauferwort für Geheimnis. Also machte er oder sie kein Geheimnis aus etwas. So ist hehlenga auch ein dialektisches Wort. Es steht für heimlich und geheimnisvoll.

„Hehlenga“ ist das Schlüsselwort, um das Wesen der evangelischen Schwaben zu verstehen. Man übte sich in bewusster Demut und Bescheidenheit, um herauszufinden, wie der andere tickte und wo er stand. Und ihm gleichzeitig geheimnisvolle Signale zu senden. Breit schwäbisch in Berlin reden und gleichzeitig Goethe und Schiller zitieren. Oder die alten Anzüge des Vaters auftragen und gleichzeitig eine sehr teure Schweizer Uhr am Armgelenk hervorblinken lassen. Das ist hehlenga.