Das erste Wunder, das Jesus laut dem Evangelisten Johannes vollbringt, ist keine Krankenheilung, sondern ein Weinwunder (Johannes 2,1-11). Jesus ist mit seinen Jüngern auf einer Hochzeit in Kana in Galiläa. Als die Party auf ihrem Höhepunkt ist, geht plötzlich der Wein aus. Die Vorräte sind aufgebraucht. Doch Jesus hilft durch ein Wunder. Er lässt leere Steinkrüge mit Wasser füllen und verwandelt das Wasser zu Wein. Aus 600 Litern Wasser wird edelster Wein. Warum steht am Anfang des Evangeliums nicht die Hilfe aus einer existentiellen Notlage, sondern im Grunde ein Luxuswunder? Welche Rolle spielt der Wein in der Bibel?
Wein wurde von Mönchen gebracht
Von Israel aus hat sich die biblische Lehre nach Europa ausgebreitet. Der Weg des Weines entspricht also in etwa dem Weg des christlichen Glaubens. Auch in der lokalen Kirchengeschichte sehen wir es: Es waren die Mönche, die nicht nur den christlichen Glauben, sondern auch den großflächigen Weinanbau nach Württemberg gebracht haben. Die Glaubenszeugen waren gleichzeitig auch Weinmissionare.
Die Mönche kannten den Kirchenvater Augustinus. Dieser sieht im Weinstock ein paradiesisches Übrigbleibsel aus dem Garten Eden. Er rät uns: „In vielen Fällen braucht der Mensch den Wein. Er stärkt den schwachen Magen und erfrischt die ermatteten Kräfte. Er heilt Wunden an Leib und Seele und verscheucht Trübsal und Traurigkeit. Er verjagt die Müdigkeit der Seele, bringt Freude und entfacht unter Freunden die Lust am Gespräch.“
Zum ersten Mal biblisch belegt kommt der Wein nach der Sintflut vor. Dort wird berichtet, dass der überlebende Noah den ersten Weinberg der Weltgeschichte angelegt habe.
Noah war von dem leckeren Ernteergebnis buchstäblich erschlagen. Der vergorene Rebensaft fand sein Gefallen. Noah trank nicht nur viel, sondern zu viel. Er lag mit einem Rausch splitternackt im Zelt und wusste sich nicht mehr zu helfen. Wie ehrlich doch die Bibel mit ihren Helden umgeht.
Auch nach der Sintflut sind wir keine perfekten Heiligen, sondern immer noch verführbare Sünder. Das, was dem Menschen zur Freude erschaffen wurde, kann ihm zum Übel werden, wenn er das Maß verliert. In der Bibel gibt es rund 500 Stellen, in denen der Wein genannt wird. Er wird als erquickend, stimmungserhebend und gesundheitsförderlich beschrieben. „Der Wein erfreut des Menschen Herz“, so singt es Psalm 104.
Es wird aber auch auf die zerstörerische Kraft des Weines hingewiesen. In den Sprüchen Salomos werden die Erfahrungen Noahs warnend auf den Punkt gebracht: „Sieh den Wein nicht an, wie er so rot ist und im Glase so schön steht: Er geht glatt ein, aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter. Da werden deine Augen seltsame Dinge sehen, und dein Herz wird Verkehrtes reden, und du wirst sein wie einer, der mitten im Meer schläft, und wie einer schläft oben im Mastkorb“ (Sprüche 23,31-34).
Beim jüdischen Passahfest spielt der Wein bis heute eine wichtige Rolle. Er erinnert daran, dass Gott die versklavten Hebräer in Ägypten in ein Land der Fülle und Freiheit führen wollte. Der Wein wurde zu einem zentralen Verheißungsgut. 40 Jahre lang dauerte die Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste Sinai. Unterwegs sollten die Wüstenwanderer schon einen kleinen Vorgeschmack auf das versprochene Ziel erleben.
Aus der Wüste heraus schickte Mose zwölf Kundschafter aus, die das Land Kanaan erkunden sollten, darunter auch einen Mann namens Kaleb. Der Erkundungsgang dauerte 40 Tage. Als sie zurückkamen, brachten sie eine Weintraube mit, die so groß war, dass sie von zwei Männern auf einer Stange getragen werden musste. Die Kundschafter schilderten die Gegend in den hellsten Farben. Es sei ein Land, in dem „Milch und Honig fließen“. Die meisten Kundschafter waren allerdings skeptisch, dass sie jemals in diesem Land leben würden.
Kaleb jedoch, dessen Gottvertrauen in der Bibel immer wieder gelobt wird, war überzeugt, dass Gottes Plan zu seinem Ziel gelangt. Er sollte recht behalten. Auf der Wüstenwanderung bekommt das Volk Israel die Tafeln mit Gottes Geboten übermittelt. Diese sollen später beim Laubhüttenfest verlesen werden (Nehemia 8). Es sollte ein Fest gefeiert und Wein getrunken werden, damit man fröhlich werde beim Hören des Gesetzes. Es sollte spürbar werden, dass die Gebote nicht die großen Spaßverderber sind, sondern eine gute Gabe Gottes, wie der Wein, die uns zum guten Leben hilft.
Im Neuen Testament gewinnt der Wein bei der Einsetzung des Heiligen Abendmahls eine zentrale Stellung. Jesus macht den Wein zum sichtbaren Element seiner Gegenwart. Außerdem wird die gesundheitsfördernde Kraft des Rebensaftes betont. Der barmherzige Samariter gießt Öl und Wein auf die Wunden des Verletzten. Wein besitzt eine desinfizierende und entzündungshemmende Funktion.
Martin Luther vergleicht diese beiden Arzneimittel mit den beiden Grundworten Gottes, mit Gesetz und Evangelium, die zusammengenommen den gefallenen Menschen heilen wollen: „Der Wein schreckt, das Öl deckt.“ Auch der Apostel Paulus rät seinem Schüler Timotheus den Genuss des Weines um seiner Gesundheit willen (Timotheus 5,23).
Die theologische Bedeutung des Weines zeigt sich nun aber besonders in der Geschichte von der Hochzeit zu Kana. Jesus war kein Abstinenzler. Anders als der asketische Johannes teilt Jesus mit uns das ganze Menschsein, die Sorgen und die Freuden. Seine Gegner nennen ihn deswegen vorwurfsvoll einen „Fresser und Weinsäufer“ (Matthäus 11,19). Jesus weiß um die Gefahren der Alkoholabhängigkeit. Wo Alkohol zu unserem Gott wird, zerstört er uns. Jesus sieht im Wein dennoch eine gute Schöpfergabe Gottes, die Freude auslöst und zur Gemeinschaft führen kann. Selbst an einem gewissen Übermaß nimmt er offensichtlich keinen Anstoß.
Jesus deutet dieses Weinwunder als ein Zeichen der Fülle für die Gottesherrschaft, die mit ihm beginnt. Wo im Glauben an Christus sich der Himmel öffnet, da dürfen wir ihn auch schon in den himmlischen Gaben auf unserer Zunge schmecken.
Martin Luther schreibt dazu: „Jesus hat kein Missfallen am Aufwand der Hochzeit, wie Schmuck, Fröhlichsein, Essen und Trinken. Das alles sieht aus, als wäre es nur ein weltlich Ding und ein verlorener Aufwand. Aber das soll mit gutem Gewissen geschehen, sofern es mäßig ist.“